Das Urteil fiel im April am Hechinger Amtsgericht: Eine Gruppe junger Männer legte sich im Dezember 2015 auf dem Schloßplatz mit der Polizei an und randalierte später im Polizeirevier weiter. Zwei der vier Angeklagten legten Widerspruch gegen das Urteil ein, der Berufungsprozess hat nun vor dem Hechinger Landgericht stattgefunden. Ein normaler juristischer Vorgang, eigentlich nicht weiter spannend, brisant ist allerdings, dass es auch um den Mordprozess im Fall Umut K. ging. Bei einem der Angeklagten handelt es sich um den 23-jährigen Kroaten, der bereits inhaftiert ist und sich in einem weiteren Prozess wegen Drogenhandels verantworten muss – gemeinsam mit dem Freund, der am Abend des 1. Dezember neben Umut K. stand.
Entsprechend ungehalten gab sich Oberstaatsanwalt Karl-Heinz Beiter zu Prozessauftakt, als sich die Verteidiger mit dem Gericht auf eine Verständigung einigen wollten. „Ich verhandle mit diesen Angeklagten nicht, die so viel losgetreten haben. Ein Gespräch hinter verschlossenen Türen gibt es nicht“, sagte er und erinnerte daran, dass gerade diese Sache für die Öffentlichkeit von großem Interesse sei. Auch Richter Dr. Hannes Breucker versprach sich von einer erneuten Beweisaufnahme „nicht allzu viel Neues, die Erinnerung wird ja nicht besser“.
Nach einem zähen Ringen um eine Entscheidung ließen sich die Verteidiger schließlich darauf ein, die Berufung auf die Rechtsfolge, also das Strafmaß, zu beschränken. Da dies einem Geständnis gleichkommt, äußerten sich die Angeklagten auch zu der Tat. Der 23-jährige Kroate gab zu, an dem Abend mit Marihuana berauscht gewesen zu sein. „Wenn ich nicht geraucht hätte, hätte ich mich da nicht so reingesteigert“, sagte er und entschuldigte sich bei den Polizeibeamten. So ganz nahm ihm Beiter die Reue nicht ab und machte einen Sprung vom Berufungs- zum Mordprozess. „Vendetta“ (Blutrache) und „Umut K. wurde grundlos erschossen“ habe jemand an die Wand der Zelle geschrieben, wo sich Angeklagte und inhaftierte Zeugen vor und während des Prozesses aufhalten. „Wer war das, wenn nicht Sie?“, fragte der Staatsanwalt den Angeklagten, der bestritt, damit etwas zu tun zu haben.
Auch für den zweiten Angeklagten hatte Beiter eine Überraschung in Form einer weiteren Anklage parat. Wobei so ganz eine Überraschung war es nicht, denn der Angeklagte wusste bereits davon, nur sein Anwalt nicht. Schlechte Vorzeichen, wenn man in einem Berufungsprozess ein geringeres Strafmaß oder gar Bewährung erreichen will. Die Polizei hatte während der Kontrollen an einem der Verhandlungstage im Rahmen des Mordprozesses einen angerauchten Joint bei dem jungen Mann gefunden. „Ich hatte ihn einfach vergessen und war selbst schockiert, dass er noch da war“, erklärte er dem Gericht. Damit nicht genug, der Staatsanwalt hatte noch ein Ass im Ärmel. So soll der Angeklagte am ersten Verhandlungstag des Mordprozesses einen Freund mitgebracht haben. Dieser soll in den Raucherpausen vor dem Gerichtsgebäude zum Rachemord an den Angeklagten angestiftet haben, nach dem Motto „man müsse die Sache selbst in die Hand nehmen“. Eben dieser Freund wurde später erwischt, wie er versucht hat, Waffen zu besorgen. Eine Erklärung, warum die Sicherheitskontrollen im Laufe des Mordprozesses noch erhöht wurden. Der Angeklagte bestritt, davon etwas gewusst zu haben.
In seinem Plädoyer kritisierte Staatsanwalt Beiter noch einmal die Respektlosigkeit und den heftigen Widerstand der Angeklagten gegenüber der Polizei an jenem Abend im Dezember, aber auch gegenüber dem Rechtssystem, da sie immer wieder Gesetze brachen ohne Rücksicht auf Regeln oder Vorstrafen. Aus diesem Grund müssten jetzt die Gerichtssäle geschützt werden. „Das ist nicht normal“, sagte Beiter und machte „bewusst“ den Bogen zum Mordprozess. Die Randale am Schloßplatz wertete er als „Ursprungsgeschichte“ allen Übels. „Es gab einen Toten, und da sehe ich schon eine gewisse Linie.“ Der Mord wäre zu vermeiden gewesen, wenn Regeln und Strafen akzeptiert worden wären. Beiter beantragte deshalb, die Berufung zu verwerfen. Ähnlich sah es Richter Breucker, der den Angeklagten ihr Geständnis anrechnete und im Strafmaß einen Monat abzog. Der 23-Jährige bekam ein Jahr und fünf Monate, der weitere Angeklagte sieben Monate, aber keine Bewährung, denn die hatte er schon zweimal gebrochen.