Der Islam hat viele Gesichter,  und keine Religion ist mit so vielen Vorurteilen behaftet. Dem interreligiösen Dialog, insbesondere der Gülen-Bewegung, widmete die Initiative Hechinger Synagoge denn auch die Auftaktveranstaltung ihres neuen Programms. Es diskutierten: Karl-Hermann Blickle, der langjährige Vorsitzende des Vereins Alte Synagoge und jetzt Vorsitzender der Stiftung Stuttgarter Lehrhaus für interreligiösen Dialog, und Ercan Karakoyun, Vorsitzender der Stiftung Dialog und Bildung in Berlin. Der Abend war eine Kooperation mit dem türkischen Hohenzollern Bildungszentrum e.V. und der Stiftung Stuttgarter Lehrhaus.
Die Notwendigkeit für kulturelle und religiöse Verständigung war noch nie so groß wie heute. Deswegen setzen sich Vertreter der Weltreligionen verstärkt dafür ein, in einen Dialog auf der Grundlage von Toleranz, Verstehen, Verständnis und Gleichberechtigung einzutreten.

Islam und Westen gemischt

Karl-Hermann Blickle und Ercan Karakoyun beschäftigten sich mit dem Wesen und der religiösen Positionierung der muslimischen Gülen-Bewegung, deren Impulsgeber der in den USA lebende Prediger Fethullah Gülen ist. Innerhalb des Islam steht die sunnitische Bewegung in der weit zurückreichenden sufistischen Tradition. Gülen beschäftigte sich jedoch ebenfalls mit westlicher Kultur und setzte sich schon früh für einen interreligiösen Dialog ein. Zudem beschäftigte sich der innovative religiöse Denker mit der Frage nach der Vereinbarkeit des Islam mit der Moderne.
Dabei kristallisierten sich zwei Lösungsansätze heraus. Der eine setzt wie zum Beispiel Millî Görüs, die Dachorganisation des politischen Islam der Türkei, auf Politik und Staat und versucht, die Gesellschaft durch den Aufbau einer neuen politischen Struktur zu bilden. Dieser „politische Islam“ birgt die Gefahr einer Ideologisierung in sich. Seine Schlüsselbegriffe heißen Politik und Staat. Der zweite Ansatz setzt beim Menschen an und versucht, soziale Reformen anzustoßen: Im Mittelpunkt seines Denkens steht die Verinnerlichung der Religion. Distanziert von der Politik, stellt die Gülen-Bewegung Bildung sowie spirituelle Entwicklung des Individuums in den Vordergrund.
Mit Überzeugung bestätigte Ercan Karakoyun die Anmerkung Karl-Hermann Blickles, dass eine Religion keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben dürfe, also auf Mission verzichten müsse. Auch sieht er die Gülen-Bewegung im Dialog mit säkularen Nicht-Gläubigen, dialogfähigen Andersgläubigen und Fundamentalisten im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Vorhaltungen Karl-Hermann Blickles bezüglich des Erscheinungsbildes der Gülen-Bewegung in der Öffentlichkeit (intransparent, autoritär, undemokratisch, doppelzüngig) erklärte Ercan Karakoyun mit den andersartigen Strukturen in der Türkei und auch mit der Angst vor Verfolgung. Dies werde sich aber in Deutschland ändern.

Kein Zusammenhang mit Putsch

Einen Zusammenhang zwischen dem Putschversuch 2016 in der Türkei mit der Person Fethullah Gülens und seinen Anhängern herzustellen, bezeichnete er als absurd und sah sich darin in Übereinstimmung mit mehreren Geheimdiensten, die den Fall untersucht haben. Er betrachtete die Anschuldigung als willkommene Gelegenheit für Staatspräsident Erdogan, unliebsame Gegner seines Regimes aus dem Weg zu räumen.
Mit der Schlussbemerkung Karl-Herrmann Blickles „Gegen Menschenrechtsverletzungen, Ausgrenzung und unrechtmäßige Verfolgung müssen gerade wir Deutsche die Stimme erheben“ endete das Gespräch. Eine lebhafte Fragerunde folgte.

250 Jahre Hechinger Synagoge in der Goldschmiedstraße

Jubiläumsprogramm Unter dem Motto „250 Jahre Synagoge in der Goldschmiedstraße“ hat die Initiative Hechinger Synagoge ihre neuen Termine gestellt. Nach dem Auftakt mit dem Dialoggespräch wird am Freitag, 13. Oktober, mit einem großen Jubiläumskonzert gefeiert: Der Klarinettist und mehrfache Echo-Klassik-Preisträger David Orlowsky hat sich mit Singer Pur, Deutschlands bekanntestem Vokalensemble und zweifachem Echo-Klassik-Gewinner, für das Projekt „Jeremiah“ zusammengetan. Sie präsentieren die Klagegesänge des Propheten mit Kompositionen der Renaissance-Meister Giovanni Pierluigi da Palestrina und Carlo Gesualdo in neuem Gewand.
Jazz und Klassik Musikalisch hochkarätig geht es am Sonntag, 22. Oktober,  weiter: Im Rahmen der Tübinger Jazz-und-Klassik-Tage bringt das Trio um den Kontrabassisten und dreifachen Echo-Jazz-Preisträger Dieter Ilg in der Alten Synagoge sein Programm „Bach“. Am 9. November wird an die Gräuel gegen die jüdische Bevölkerung während der Pogromnacht von 1938 erinnert. Schüler und Lehrer der Alice-Salomon-Schule gestalten die Gedenkstunde. In der neuen Reihe „Hechinger Musiker zu Gast in der Synagoge“, eine Kooperation mit dem Sachgebiet Tourismus und Kultur der Stadt Hechingen, findet das nächste Konzert am Sonntag, 12. November, statt: Neun verschiedene Instrumente in Duo- und Triobesetzung, gespielt von Mitgliedern des Kollegiums der Musikschule Hechingen, präsentieren mit „Von Märchenerzählungen und einem Lied für Lotta” ein breites Spektrum an Stücken aus den verschiedensten Epochen und Stilrichtungen.
Neue Ausstellung Marek Lesczynski, Restaurator der Alten Synagoge, eröffnet am Freitag, 17. November, seine Ausstellung „Ein Pfad zum Licht. Gedanken, Ideen, Absichten, die hinter der Schablonenmalerei in der Hechinger Synagoge stehen“. Am 18. November sind wieder Hechinger Musiker zu Gast: Das Saxophonquartett Gleis 4 lädt mit der Perkussionistin Karin E. Sauer unter dem Titel „Lux et Umbra – Licht und Schatten“ zu einer Reise durch die Grenzbereiche der musikalischen Welten von Klassik über Tango zu Jazz ein. Dr. Ulrich Knufinke vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden wird am 23. November die Hechinger Synagoge in die Geschichte der Synagogenarchitektur einordnen. Der Plochinger Pfarrer Dr. Joachim Hahn hält am 7. Dezember einen Vortrag über „250 Jahre Hechinger Synagoge in der Goldschmiedstraße“ halten.
Fünf nach Vier In der kalten Jahreszeit wird es wieder heißen: „5 nach 4 – Kultur am Sonntag“. Den nachmittäglichen musikalisch-literarischen Reigen eröffnet Rudolf Guckelsberger am 17. Dezember mit einer Lesung von Edzard Schapers. Das neue Jahr beginnt in der Alten Synagoge am 21. Januar ebenfalls um „5 nach 4“ mit einem musikalischen Paukenschlag: Das Frielinghaus Ensemble spielt mit dem in Hechingen verwurzelten Hornisten Daniel Lohmüller Johannes Brahms‘ Horntrio op. 40 und Klavierquartett op. 25 „alla Zingarese“. Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar gehen Rudolf Guckelsberger und das Bläser-Ensemble Tre Colori in „Sozusagen grundlos vergnügt“ dem Lebensweg der deutschsprachigen Dichterin und Jüdin Mascha Kaléko nach.