Zu einer Jugendhaftstrafe von siebeneinhalb Jahren war der jüngere Bruder des 2016 an der Hechinger Staig erschossenen Deutschkurden Umut K. im Juli 2019 am Hechinger Landgericht verurteilt worden. Sein inzwischen 26-jähriger türkischer Komplize erhielt sechseinhalb Jahre Haft. Die Große Jugendkammer sah es als erwiesen an, dass das Duo geplant hatte, die italienischen Mörder von Umut K. mit Winchester-Gewehren durch die Fenster ihrer Gefängniszellen zu erschießen.
Es war bereits das zweite Urteil im Hechinger „Blutrache-Prozesses“ gewesen, doch wie schon beim ersten Mal 2018 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) dem Revisionsantrag des älteren Angeklagten teilweise stattgegeben und den Fall nach Hechingen zurückverwiesen.
Es geht nur noch ums Strafmaß
Deshalb muss in der Heiligkreuzstraße seit Dienstagmorgen zum dritten Mal verhandelt werden. Unter dem Vorsitz von Richter Alexander Meinhof wird allerdings nicht der ganze Prozess neu aufgerollt. Diesmal geht es im Wesentlichen nur noch um das Strafmaß – und das dürfte für beide Angeklagte deutlich geringer ausfallen. Denn nach dem BGH-Beschluss ist der Vorwurf der Verabredung zum Mord vom Tisch.
BGH: Tatpläne nicht konkret genug
Die Karlsruher Bundesrichter bemängelten, ein solches Tötungsdelikt hätte „in wesentlichen Grundzügen konkretisiert“ sein müssen, um eine Verurteilung zu rechtfertigen. War es in diesem Fall aber offenbar nicht. Weder Kalaschnikows noch Winchester-Gewehre noch Handgranaten waren tatsächlich schon gekauft. Und auch die Frage, wer wann wo auf welche Weise umgebracht werden sollte, war nach BGH-Auffassung noch nicht hinreichend ausbaldowert. Die beiden Angeklagten hätten sich in einem „lediglich allgemeinen Planungsstadium“ befunden.
Geld für Waffenkauf gesammelt
Rechtskräftig (und damit nicht mehr zur Verhandlung stehend) ist dagegen nach der Entscheidung aus Karlsruhe die Verabredung zu einem nicht näher definierten Verbrechen durch den Plan, sich verbotene Kriegswaffen zu besorgen. Erwiesen ist, dass der jüngere, heute 23-jährige Angeklagte begonnen hatte, am Rande des Prozesses gegen die Mörder seines Bruders unter Verwandten und Bekannten Geld für den Kauf von Waffen zu sammeln. Erwiesen ist auch, dass sein Komplize bereits im Kontakt zu einem Waffenhändler in Pforzheim stand und besagte Winchester-Snipergewehre samt Zielfernrohr angeboten bekommen hatte. „Die Angeklagten“, so heißt es im rechtskräftigen Teil des Urteils, seien „fest entschlossen“ gewesen, Umuts Mörder durch die Fenster ihrer Gefängniszellen zu erschießen. Außerdem sollte sich ihre Rache auch auf die Familien der Italiener erstrecken. Der Plan war, Handgranaten zu besorgen und diese in die Autowerkstatt der Familie eines der Mörder im Raum Burladingen zu werfen.
Bei Treffen mit Waffenhändler festgenommen
All dies darf als juristisch verbrieft gelten, war aber nicht konkret genug vorbereitet, um als Mordplan zu gelten. Weiter voranschreiten konnten die beiden Verschwörer noch nicht, weil erstens das gesammelte Geld hinten und vorne nicht reichte, und weil zweitens die kriminalpolizeilichen Ermittler ihnen längst auf die Schlichte gekommen waren. Im August 2017 wurden sie vor einer verabredeten Geldübergabe an den Waffenhändler in Reutlingen festgenommen.
Kopf-ab-Geste im Gerichtssaal ist verbürgt
Rechtskräftig festgestellt ist außerdem, dass der ältere Angeklagte einen der italienischen Mittäter während des Umut-Mordprozesses im Gerichtssaal mit einer Kopf-ab-Geste bedroht hat. Dafür gab es eine Geldstrafe von 21 Tagessätzen à zehn Euro.
Mit der rechtlichen Würdigung der erwiesenen Verbrechensverabredung hat sich die Hechinger Kammer in ihrer neuen Besetzung jetzt an voraussichtlich drei Prozesstagen zu befassen. Worauf die Verteidigung setzt, um das Strafmaß drastisch zu senken, wurde bereits beim Auftakt erkennbar. Alexander Hamburg, der Anwalt des 26-jährigen Türken, gab zu Protokoll, dass er einen „klaren minderschweren Fall“ sehe, weil zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr vorgelegen habe – eben weil die Waffen noch gar nicht beschafft waren.
Scharmützel ums Prozedere
Ursprünglich war geplant, dass am ersten Prozesstag ein psychiatrischer Sachverständiger gehört werden sollte. Doch der hatte wegen Terminschwierigkeiten abgesagt und soll nun erst bei der Fortsetzung am 2. November vernommen werden. Dass diese Planänderung den Verteidigern nicht vorab mitgeteilt worden war, führte im von Sicherheitsbeamten stark bewachten Schwurgerichtssaal zu ersten Scharmützeln. Dr. Markus Bessler, der Anwalt des 23-jährigen Umut-Bruders, erklärte, dass sein Mandant zu einer Aussage vor Gericht bereit sei – aber erst wenn der psychiatrische Sachverständige anwesend sei. Der Vorsitzende Richter Alexander Meinhof nahm dies zur Kenntnis, wollte dann aber seinerseits mit der Verlesung der Vorstrafen der Angeklagten fortfahren. Dagegen protestierten die Verteidiger unisono: Wenn man „stundenlang Vorstrafen verliest“ (so Bessler), bevor die Angeklagten selbst gehört wurden, dann entstehe bei den Schöffen eine „Vorverurteilung“ (so Hamburg). Richter Meinhof wies diese Einwände zurück und ließ die Vorstrafen verlesen.
Stattliches Vorstrafenregister
Und die hatten es in der Tat in sich: Für den 26-Jährigen weist das Bundeszentralregister bereits elf Eintragungen auf – ein erschreckendes Sammelsurium, das vom sexuellen Missbrauch über gefährliche Körperverletzung, Diebstahl und illegalen Waffenbesitz bis zur räuberischen Erpressung reicht.
Moschee in Rheinfelden angezündet
Sieben Vorstrafen sind für den Jüngeren aus dem Duo ausgewiesen. Außer Diebstahl, Drogenbesitz und Polizistenbeleidigung stechen bei dem 23-jährigen Kurden hervor: ein bewaffneter Überfall auf einen Hechinger Discounter im zarten Alter von 16 Jahren; und die Beteiligung an einem Brandanschlag auf die Moschee in Rheinfelden. Für beide Taten wurde der Bisinger bereits zu Jugendstrafen verurteilt: Einmal gab’s drei Jahre, einmal zwei Jahre und neun Monate.