Eigentlich hätte das Projekt längst abgeschlossen und öffentlich präsentiert sein sollen – ganz feierlich mit Landrat, Bürgermeister, Sponsoren und weiterer lokaler Prominenz. Aber auch hier haute die Corona-Pandemie die Bremse rein und stellte alles in Frage. Doch nach dreimonatiger Verzögerung sind die Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs zum Erwerb der Fachhochschulreife (BKFH) am Beruflichen Schulzentrum Hechingen wieder dran. „Die Klasse ist fest entschlossen, das Projekt abzuschließen“, sagte Lehrerin Pamela Rosenhahn – trotz aller Widrigkeiten, trotz des Prüfungsstresses in ganz speziellen Zeiten.

Eine nie endende Geschichte

Die Rede ist von einem Denkmal an die deportierten Juden von Hechingen. Kein massives aus Stein und Stahl, sondern eines aus Bits und Bytes – das den großen Vorteil hat, transportabel zu sein und jederzeit erweiterbar. Schließlich ist Geschichte niemals zu Ende erzählt.
Am Anfang des Projektes stand die Anregung eines Sponsors, in Form von „Stolpersteinen“ – wie sie es in vielen Städten gibt – an ehemalige jüdische Mitbürger zu erinnern, die in der Hechinger Stadtgeschichte eine so überragende Rolle spielten. Stolpersteine, die aus einem Pflasterbelag herausragen, sind in der Erinnerungskultur aber nicht unumstritten. Auch Vertreter der Initiative Hechinger Synagoge, mit der die Klasse recht schnell eine Kooperation suchte, rieten davon ab. Die Namen vertriebener und ermordeter Juden sollten nicht buchstäblich „mit Füßen getreten“ werden.
So fand man eine Alternative, die der jungen Generation ohnehin viel näher ist als Ehernes und Steinernes: ein Denkmal in Gestalt von digitalen Bilderrahmen.

Einfache Leute im Fokus

Als Inhalt wählten die Schüler die Lebensgeschichten von Hechinger Juden. Ganz bewusst fokussierte man sich dabei nicht auf prominente Namen wie Paul Levi oder Karoline Kaulla, sondern auf einfache Leute. Das Bestreben, so formuliert es Konrektorin Leonie Schneider-Loye: „Menschen, die im Dritten Reich entmenschlicht wurden, durch das Gedenken ihr Menschsein zurückzugeben“. Wichtig war den Projektmachern dabei auch der lokale Ansatz: „zeigen, dass das nicht irgendwo passiert ist, sondern hier bei uns“, wie der Schüler Moritz Weber es formuliert.

Viel Neues erfahren

Während ihrer Recherchen, bei denen sie viel Unterstützung von Lothar Vees, Cornelia Maas und Benedict von Bremen von der Synagogen-Initiative erhielten, machten die Jugendlichen Bekanntschaft mit historischen Ereignissen und Fakten, von denen sie zuvor noch nie gehört hatten. Ein besonders erschreckendes Beispiel nennt die Schülerin Esma Kaya: „Ich hatte bis dahin nicht gewusst, dass es ganz in der Nähe von hier, in Bisingen, ein Konzentrationslager gab. Ich war so betroffen, dass ich da hingefahren bin.“
Auch die Dauerausstellung in der Alten Synagoge über die Geschichte der Hechinger Juden seit dem 15. Jahrhundert hat die Klasse besucht. „Das öffnete uns die Augen, was die Juden für Hechingen eigentlich bedeutet haben“, erzählt Moritz Weber, „dass es Juden waren, die in Hechingen die Textilindustrie gegründet haben“. Und dass die einstmals tiefe Verwurzelung sie doch nicht davor schützte, unter dem Nazi-Regime vertrieben und vernichtet zu werden. „Um die 50 Menschen mit Hechinger Bezügen sind in der Shoah umgebracht worden“, weiß Benedict von Bremen.
Der erste digitale Bilderrahmen gilt denn auch denjenigen Menschen, die direkt aus Hechingen deportiert wurden. Rund ein Dutzend davon gab es. Jeder Schüler, jede Schülerin nahm sich der Biographie einer Person oder einer Familie an. Eine zentrale Rolle bei der Recherche spielten die Publikationen von Otto Werner, Dr. Adolf Vees sowie der Newsletter des Gedenkstättenverbundes Gäu-Neckar-Alb. Gemeinsam gearbeitet wurde immer in den beiden wöchentlichen Gemeinschaftskundestunden, zunehmend aber auch (in der Corona-Zeit sowieso) individuell zu Hause. Und immer noch motiviert: Denn die Klasse hat sich vorgenommen, etwas Bleibendes zu schaffen (wie es ein Denkmal eben sein soll), um dem wieder aufkeimenden Rassismus und Antisemitismus die Stirn zu bieten.

Eine Erweiterung denkbar

„Wir sind dankbar, dass die Klasse das Thema aufgegriffen hat“, sagt Schulleiter Dr. Roland Plehn. Aus seiner Sicht ist es besonders wichtig, dass das Projekt kein Strohfeuer war, das erlischt, wenn die Klasse die Schule verlassen haben wird. Plehn hofft, „dass das Projekt sich verstetigt und lange Zeit lebt“. Denn die Chance, die die digitale Form bietet, ist, dass das Gedenkprojekt wachsen kann. Noch sind längst nicht alle jüdischen Lebensgeschichten aus Hechingen in die Bilderrahmen reingepackt. Außerdem ist eine Erweiterung auf andere Opfer-Gruppen vorstellbar. Die Nazis haben ja nicht allein die Juden verfolgt, sondern auch Sinti und Roma, Homosexuelle, Kommunisten, Menschen mit Behinderung und, und, und.

Öffentliche Präsentation noch offen

Dank ihrer Mobilität kann die digitale Gedenkschau überall gezeigt werden, wo es eine Steckdose gibt: an Schulen, im Rathaus, in Museen, in der Synagoge oder im Landratsamt (das das Projekt der Hechinger Kreisschule unterstützt). Es könnte eine Wanderausstellung durch die Hechinger Schulen geben, vielleicht auch eine QR-Code-Stadtführung zum jüdischen Hechingen – und Verlinkungen auf die Homepages von Schulen, Museen oder anderer geneigter Einrichtungen sind ebenfalls denkbar.
Nur eine neue Idee für die öffentliche Präsentation des Projektes will nach den Corona-Wirren noch gefunden sein. Vielleicht findet sich ja auch dafür eine digitale Lösung...

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