Das Glücksgefühl hallt noch nach. Draußen ist es trüb und regnerisch, aber Karl Ackermanns Augen funkeln. „Ich fühlte mich so frei, ich war so glücklich.“ Acht Wochen lang reiste der Ruheständler aus Süßen tausende Kilometer kreuz und quer durch Ostafrika – auf eigene Faust, mit Zug und Bus. Der 78-Jährige hat nicht nur geografische Grenzen überschritten. Auch an seine persönlichen Grenzen ist er gegangen. Innerhalb von zwei Wochen stand er auf den Gipfeln der beiden höchsten Berge Afrikas: auf dem 5895 Meter hohen Kilimanjaro und dem Mount Kenya (4985 Meter).
Zehn Jahre in Südafrika gelebt
Karl Ackermann ist viel in der Welt herum gekommen. Fast zehn Jahre lange lebte und arbeitete der Textilingenieur als Spinnerei-Manager in Südafrika bevor er sich mit seiner Familie in Süßen niederließ und in die Dienste der Spindelfabrik trat. Ein unstetes Leben: „Die meiste Zeit war ich unterwegs.“ Asien, Afrika, Australien und zuletzt zwei Drittel des Jahres in China, wo er die Produkte seines Arbeitgebers vertrieb. „Man sollte meinen, ich hätte viel von der Welt gesehen“, meint Ackermann, „aber ich bin vom Flughafen zum Kunden und ins Hotel gefahren und habe so gut wie nichts gesehen.“ Das habe ihn gefuchst, erzählt der 78-Jährige.
Der Gedanke, einmal ganz anders zu reisen, sei lange gereift. Sechs Jahre nach dem Tod seiner Frau und nach einer überstandenen Krebserkrankung mit elf Operationen und den Strapazen von Chemotherapien packte Karl Ackermann im Februar seinen Trekking-Rucksack und flog nach Kapstadt. Einen Plan hatte er nicht, nur das Rückflugticket von Nairobi aus und den festen Vorsatz: „Den Kilimanjaro wollte ich unbedingt machen.“ Seiner Familie hat er von diesem Vorhaben allerdings nichts erzählt. „Ich wollte nicht den Mund aufreißen und dann klappt es nicht“ – was durchaus möglich war. Zwar bezwingt der rüstige Ruheständler manche Steigung auf der Alb noch mit dem Fahrrad, aber mit Bergwandern hatte er bis dato keinerlei Erfahrung.
Aber erstmal Südafrika, wo er Freunde hat und sich ganz gut auskennt. Die fast 1100 Meter rauf auf den Tafelberg zu Fuß statt mit der Seilbahn, mit dem Fahrrad auf den Bain’s Kloof Pass, „meine Beine sind gut“, bemerkt Ackermann. Einen Inlandsflug nach Johannesburg gönnt er sich, wo dann das eigentliche Abenteuer mit einer zwei Tage dauernden Busfahrt über Zimbabwe, Mosambique nach Mangochi in Malawi beginnt. „Wir sind nachts um 12 angekommen, kein Lodge hatte mehr offen, da haben wir alle im Bus geschlafen“.
Durch diese Busfahrten lerne man das Land auf eine ganz andere Art kennen, sagt der Süßener. „Ich war oft der einzige Weiße im Bus und bin sehr viel mit Einheimischen ins Gespräch gekommen.“ Wenn immer es möglich war, wählte Ackermann Übernachtungen in Hostels, mit vielen anderen in einem Schlafsaal, „da trifft man viele Leute und bekommt Tipps für die Reise“. Geplant habe er nichts. „So wie es gekommen ist, bin ich gereist“, erzählt der Süßener, der nach insgesamt vier Wochen auf Tour durch „eine wunderschöne Landschaft“ in Arusha in Tansania landet. Dort nimmt Karl Ackermann das Projekt Kilimanjaro in Angriff. Bei einer örtlichen Agentur bucht er die Trekking-Tour auf den höchsten Berg Afrikas. Keine Erfahrung mit Bergwandern, geschweige solchen Höhen, aber ein eiserner Wille. 38 Kilometer, anfangs durch tropischen Regenwald, und mehr als 4000 Höhenmeter waren es vom Start am 1850 Meter hoch gelegenen Marangu Gate bis zum Uhuru Peak.
Kein Spaziergang, meint Ackermann, der an den ersten beiden Tagen des Aufstiegs auch noch seinen rund zwölf Kilogramm schweren Rucksack selbst trägt. Von der Höhenkrankheit sei er zum Glück verschont geblieben, aber auf der letzten Etappe am dritten Tag des Aufstiegs sei er an seine Grenzen gekommen. Abends um 23 Uhr beginnt der Aufstieg, mit bereits 1000 Höhenmeter an diesem Tag in den Beinen. In 7 Stunden und 45 Minuten kämpft sich der Süßener gemeinsam mit seinem Guide weitere 1175 Meter hoch auf den Uhuru Peak, den Gipfel des Kilimanjaro (5895 m). Bei 15 Grad minus gefriert das Wasser in der Flasche und Karl Ackermann kommen die Tränen. „Da oben zu stehen, ist einfach fabelhaft“, sagt er und strahlt.
Keine zwei Tage nach dem Abstieg ist der reiselustige Rucksacktourist bereits auf Safari in der Serengeti, bestaunt den Ngorongoro-Krater, gönnt sich etwas Erholung in Sansibar, um schließlich zwei Wochen nach dem Kilimanjaro auch noch den Mount Kenya in Angriff zu nehmen. Den zweithöchsten Berg Afrikas empfand er als schwerer, „weil man viel auf Geröll geht“. Aber dafür sei die Landschaft interessanter und die „Aussicht ist gigantisch. „Mit der Natur eins zu sein, es gibt nichts Schöneres“, schwärmt der Senior.
78-Jähriger schafft es auf den Gipfel
Die Nachricht, dass es ein 78-Jähriger auf den Gipfel geschafft hat, habe sich in den Camps am Fuße des Mount Kenya verbreitet wie ein Lauffeuer. „Hat es der Opa geschafft?“, sei der Guide bei der Rückkehr gefragt worden. Und ob, „ich war ja trainiert“ – ein spitzbübisches Lächeln huscht über Karl Ackermanns Gesicht. „Es muss im Kopf funktionieren“, meint er, danach gefragt, wie so etwas in diesem Alter zu schaffen ist. „Meine Erfahrung ist, wenn man unbedingt etwas möchte und daran arbeitet, dann bekommt man das auch“, fügt er hinzu.
Von seinen Erlebnissen auf dieser Reise, die der Süßener akribisch und mit Zeichnungen ergänzt festgehalten hat, werde er noch lange zehren. „Davon lebe ich jetzt ein ganzes Jahr“, sagt Ackermann. Besonders berührt habe ihn die Freundlichkeit der Menschen in Afrika, „so etwas erlebt man hier kaum“, erzählt er im heimischen Wohnzimmer in Süßen, wo er bereits Pläne für den nächsten Trip, „wahrscheinlich Australien“, schmiedet.