Wenn ich heim komme, trinke ich einen Schluck Kaffee und leg’ mich wieder hin“, prophezeit Edith Göser schon zu Beginn ihrer Tour. Seit 36 Jahren steht die Zustellerin jede Nacht – außer sonntags – um dreiviertel drei auf, sodass die Rechberghäuser Bürger pünktlich bis um sechs Uhr morgens ihre Zeitung aus dem Briefkasten holen können. Um halb vier läuft die 66-Jährige mit ihrem Wagen in der Ziegelstraße los. In zwei Zustellbezirken muss sie 155 Zeitungen verteilen.
Außer ihren Schritten hört man um diese Zeit nur Grillen zirpen, ab und zu den Verkehr auf B297 und in der Ferne einen Hahn krähen. „Die meisten Leut‘ schlafen jetzt noch. Wenn es fünf ist, dann wuselt’s. Dann fährt mal ein Auto oder es brennt irgendwo ein Licht“, sagt sie.
Am Friedhof vorbei geht es durch dunkle Straßen, die nicht einmal der Mond wirklich erhellt. „Die Straßenlaternen gehen hier erst ab fünf Uhr an“, sagt die Zustellerin in den „Hopfengärten“ und schüttelt sich: „Da ist es kuhnacht. Das ist mir immer unheimlich.“ 20 Zeitungen und einzelne Briefe muss sie in diesem Teil Rechberghausens verteilen. „Das Eck mache ich nicht so gern. Ich bin froh, wenn ich wieder vorne bin.“ Mit einer Taschenlampe in der Hand und ein paar Zeitungen unterm Arm verschwindet Göser für einige Minuten in der Dunkelheit, um die hintersten Häuser der Hopfengärten mit Lesestoff zu versorgen.
Die Zeitungen seien im Laufe der Jahre dicker und schwerer geworden, erzählt die Zustellerin. „Das Wägele ist freitags und samstags so voll, ich kann es fast nicht ziehen.“ Wenn man damit im Winter durch den Schnee müsse, ist man nach dem Austragen immer fix und fertig. „Da braucht man auch viel länger.“ Überhaupt der Winter: Ohne Spikes könne man bei Minusgraden nicht laufen. Alles sei gefroren und vereist. „Wenn es morgens geschneit hat, ist nichts geräumt. Man sieht keine Treppe, man sieht gar nichts.“ Warm halten könne man sich auch nicht, meint Göser. „Da spüre ich keinen Zeh mehr.“
Krank sei sie in all den Jahren aber nie gewesen – auch nicht nach nassen Füßen. Nur ihre Hüft-Operation 2016 habe sie geschlaucht. Ansonsten fühle sie sich aber fitter als andere in ihrem Alter. „Das Austragen macht schon was aus.“ Es sei Sport – halte frisch und jung, sagt sie überzeugt. „Wenn ich überlege, wie viele Treppen ich rauf und runter laufe.“ Trotzdem hat Göser Angst, im Winter zu fallen und hört nun lieber mit dem Austragen auf. „Einmal muss Schluss sein. Jetzt hab ich Rente und das reicht.“
So frühe Spaziergänge wie bisher werde sie erst mal nicht mehr machen: „Ich muss mich gewaltig umstellen. Ich hab es gern gemacht.“ Sie genieße beim Austragen die Ruhe und dass man für sich alleine durch Rechberghausen laufen kann. „Und wenn dann alles so riecht“, sagt Edith Göser, streckt die Nase hoch und atmet tief ein: „Das ist so herrlich.“
Angefangen hatte die heute 66-Jährige, als sie schwanger war. Schon damals schätzte sie, dass ihr keiner „reinschwätzt“ und sie sich die Arbeit so einteilen konnte, wie sie wollte.
In der Bühlstraße öffnet Göser einen in Pflanzen versteckten Kasten und erklärt: „Eine Gärtnerei liegt weit draußen, fast schon in Oberwälden. Wir haben ausgemacht, dass ich hier die Zeitung stecken darf.“ Ein paar Straßen weiter wirft Göser eine weitere Zeitung in einen Briefkasten: „Da wohnt unser ehemaliger Bürgermeister Reiner Ruf. Der ist auch in Rente.“
Aus ihrem ganzen Bereich kann Göser Geschichten erzählen: Wer hatte einen Wasserschaden und wer hat einen Hund. „Ich kriege alles mit“, sagt sie grinsend und flüstert, dass es viele Menschen gebe, die sie hinterm Fenster im Dunklen beobachten. Manchem Leser habe sie als Sonderwunsch die Zeitung stets vor die Haustür oder ans Klofenster gelegt. Als Lohn gab es Pralinen und Sekt.
Es ist fünf Uhr und noch dunkel, als Edith Göser fertig ist und fast jede Zeitung verteilt hat: Drei Exemplare liegen noch in ihrem Wagen, zwei steckt sie auf dem Weg nach Hause noch ihren Besitzern zu. Die letzte gehört ihr. „Die les’ ich jetzt und dann geh ich ins Bett.“
Mehr als 25 000 Zeitungen werden pro Tag verteilt
Zusteller Genau 258 Zusteller teilen zur Zeit die Neue Württembergische Zeitung in 330 Bezirken aus. 215 Zusteller betreuen nur einen Bezirk, der Rest hat zwei bis drei Bezirke. Nur vier Zusteller sind unter 40 Jahre alt. Der Älteste ist 80 Jahre alt.
Zeitung Über 25 000 Tageszeitungen (NWZ) werden täglich verteilt. Die Bezirke sind unterschiedlich groß, angefangen von nur 4 Zeitungen bis zu 147 Zeitungen pro Tag.
Wangen ist mit 147 Zeitungen pro Tag der größte Einzel-Bezirk.