Corona-Partys werden verteufelt, aber niemand kommt auf die Idee, eine Aerosolparty beim Zahnarzt zu verbieten“, sagt der Oralchirurg und Zahnarzt Dr. Eckard Kanz aus Ehingen. Der zu enge Kontakt von Menschen fördert die Verbreitung des Coronavirus’ und ist gegenwärtig streng verboten. Das Wort „Aerosolparty“ hat Kanz erfunden. Damit meint er den feinen Sprühnebel im Rachenraum des Patienten beim Zahnarzt. „Um den Kopf entsteht dabei ein Tröpfchennebel, in dem auch eine Keimverbreitung möglich ist“, erklärt der Zahnmediziner, der aus diesem Grund seine Praxis beinahe auf Null zurück gefahren hat. Kanz sieht in den Aerosolen eine möglicherweise unterschätzte Gefahr für Patienten und Personal.

Zahnarzt: 80 Prozent weniger Patienten

Diese Ansicht teilt der Ehinger Zahnarzt Dr. Michael Kugler, Organisator des zahnärztlichen Qualitätszirkels, in dem sich 15 bis 20 Zahnärzte regelmäßig zum Austausch treffen. Derzeit geschieht das per Videokonferenz. „Wir behandeln momentan jeden Patienten so, als wäre er ein potenzieller Hochrisikopatient“, erklärt Kugler. „Man weiß bei keinem, ob er infiziert ist oder nicht“.
„Es kommen nur noch die ganz dringenden Fälle“, sagt auch Kanz, der als Spezialist seine Patienten von Zahnärzten überwiesen bekommt. Aber das Patientenaufkommen sei ohnehin im Schnitt um 80 Prozent eingebrochen, sagt Kugler. Die Leute seien mittlerweile vorsichtig, wagten sich kaum hinaus und fürchteten, sich das Virus einzufangen. Für die Zahnärzte bedeutet das Ausbleiben der Patienten auch ein Ausbleiben von Einnahmen.

Gesundheitsamt ordnet keine Schließung an

Unverständlich sei, dass das Gesundheitsamt nicht die Schließung der Praxen anordnet, wundern sich die Zahnärzte und vermuten, dass dabei finanzielle Beweggründe eine Rolle spielen. „Wenn man uns offiziell schließen würde, hätten wir Anspruch auf Entschädigung“, argumentieren die Mediziner, für die das Ulmer Gesundheitsamt zuständig ist. „Für uns gibt es keinen Schutzschirm“, sagen sie. Mittlerweile hätten nach seinem Wissensstand alle Zahnärzte, die er kennt, Kurzarbeit beantragt, sagt Kugler. Das gilt auch für seine Praxis.
Es ist jedoch nicht nur der Aerosolnebel, der möglicherweise Keime verbreitet, sondern auch das Fehlen geeigneter Schutzkleidung, was den Zahnärzten Sorge bereitet. „Wir bekommen keine Masken mehr“, sagt Kanz. „Ich kann mich nur mit dem über Wasser halten, was ich noch als Vorrat habe“. Und dieser Vorrat sei bald aufgebraucht. Kugler hat sich mittlerweile einen Schutzanzug besorgt, wie ihn Bauarbeiter anziehen. „Und unsere Masken kaufen wir zu horrenden Preisen.“

Was tun bei Zahnschmerzen?

Aber was machen die Patienten, wenn sie unerträgliche Zahnschmerzen haben? Die Zahnärzte schlagen die Organisation eines zahnärztlichen Notdienstes vor. Dabei kommen sie ihrem gesetzlichen Sicherstellungsauftrag nach. Man könne das Modell des Wochenend-Notdienstes auch für die Werktage anwenden. Der Patient bekommt am Telefon den Kontakt des Notdienstes mitgeteilt. Der Notdienst könne auch besser mit Schutzkleidung ausgerüstet werden, da sich der Dienst dann auf jeweils eine Praxis konzentriere. „Selbst wenn ein Notdienstteam sich infizieren würde, wäre es automatisch so lange in Quarantäne, bis es wieder dran wäre“, sagt Dr. Andreas Klaus.

Wunsch nach zahnärztlichem Notdienst

Der Westerstetter Zahnarzt nimmt ebenfalls an den genannten Videokonferenzen teil, zu denen sich auch die Ehinger Zahnärzte Kugler und Kanz schalten. Andreas Klaus sieht in der Organisation von zahnärztlichen Notteams für Patienten und Mediziner erhebliche Vorteile. „Momentan setzt sich jeder von uns einer Gefahr aus. Wenn es einen von uns erwischt, geben wir das womöglich weiter“, erklärt er.
Auf diese Weise könnten Zahnarztpraxen zu „Super-Spreadern“ werden. So nennt man Personen oder Orte, durch die die Verbreitung des Virus’ begünstigt wird. Das Einhalten eines Sicherheitsabstandes sei für Zahnärzte ohnehin keine ernsthafte Möglichkeit. Mit einer Schließung der Praxen hoffen die Zahnmediziner, sich und die Bevölkerung besser schützen zu können.

Schutzausrüstung rollt an

Die Landesregierung arbeite mit Hochdruck an der Beschaffung von Schutzausrüstung, teilte Gesundheitsminister Manfred Lucha am Freitag mit. Erste Lieferungen seien verteilt worden. In den ersten Tranchen wurden demnach mehr als 300 000 Schutzhandschuhe sowie mehr als 300 000 Schutzmasken verschiedener Kategorien zur Verfügung gestellt. Außerdem habe der Autohersteller Daimler rund 110 000 Masken bereitgestellt. Eine Lieferung des Bundes mit Schutzausrüstung sei bereits über die Kassenärztlichen Vereinigungen an niedergelassene Ärzte im Land verteilt worden.