Fast drei Jahre lang hat die Kinder- und Jugendhilfe St. Raphael aus Fichtenau-Unterdeufstetten nach einem geeigneten Standort in Crailsheim gesucht. Jetzt ist sie fündig geworden: Sie konnte ein Grundstück in der Schillerstraße erwerben, gleich neben der Bonifatiuskirche. Hier soll ein Haus gebaut werden, in dem bis zu sieben Jugendliche zwischen zwölf und 18 Jahren in einer Wohngruppe leben – rund um die Uhr betreut von Fachkräften.
Bis zum Einzug der Jugendlichen werden noch etwa zwei Jahre vergehen, vermutet Stefan Reuter, Einrichtungsleiter von St. Raphael. „Zunächst geht es um die Erstellung einer Konzeption und um die Abstimmung mit der Stadt Crailsheim, denn das Grundstück liegt im Sanierungsgebiet östliche Innenstadt.“ Das geplante Wohnhaus muss ins städtebauliche Konzept passen. Auch ein geeignetes Planungsbüro muss noch gefunden werden.
Neben der Wohngruppe sollen zusätzliche Wohnungen entstehen
Als Nächstes stehen Gespräche mit dem Kreisjugendamt an, denn St. Raphael kann sich an diesem zentralen Standort in der Crailsheimer Innenstadt neben der geplanten Wohngruppe noch weitere Angebote von Kooperationspartnern vorstellen. „Wir fühlen uns zuständig für die Bedarfe des Landkreises und sind offen und gesprächsbereit“, betont Reuter und erinnert daran, dass die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung aus Fichtenau in den vergangenen Jahren stets Angebote umgesetzt hat, die auf Kooperation mit anderen Trägern ausgelegt waren. „Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht.“
Fest steht schon, dass neben dem betreuten Jugendwohnen in dem Neubau Platz für eine oder zwei kleine Wohnungen sein wird. Hier könnten Jugendliche oder junge Erwachsene einziehen, die nach dem Aufenthalt in einer Wohngruppe bereit sind für ein selbstständiges Leben in der eigenen Wohnung. „Es gibt auf dem freien Wohnungsmarkt viel zu wenige Wohnungen nach den Richtlinien des Jobcenters“, erklärt Reuter. Und wenn es günstige Wohnungen gibt, werden sie nur selten an junge Menschen vermietet, die aus einem Betreuungsverhältnis kommen. „In der Vergangenheit ist St. Raphael als Mieter eingesprungen und hat die Wohnung dann untervermietet“, sagt der Einrichtungsleiter. Für das Selbstwertgefühl der jungen Menschen sei es jedoch viel besser, wenn sie selbst den Mietvertrag unterschreiben könnten.
Für betroffene Jugendliche sind sowohl ländliche als auch städtische Plätze notwendig
St. Raphael ist in Crailsheim bereits an zwei Standorten vertreten: Mit einer vollstationären Wohngruppe in der Gartenstraße und mit betreutem Jugendwohnen in der Adam-Weiß-Straße. Mit dem Haus in der Schillerstraße soll eine der fünf Wohngruppen, die derzeit in Unterdeufstetten beheimatet sind, nach Crailsheim umziehen.
„St. Raphael braucht ländliche und städtische Plätze“, erklärt Reuter. In der ländlichen Umgebung von Unterdeufstetten könnten Kinder und Jugendliche zur Ruhe kommen, Abstand gewinnen und sich neu justieren. In der zweiten Phase sei es jedoch wichtig, sich mit dem Übungsfeld Stadt auseinanderzusetzen. „In der Stadt gibt es kurze Wege zu Schulen und Ausbildungsstätten. Das ist ein großer Vorteil, vor allem für einen jungen Menschen ohne Führerschein.“
Auch für Inobhutnahmen, also Notunterbringungen von Kindern und Jugendlichen, die St. Raphael im Auftrag des Jugendamtes durchführt, sei der städtische Kontext wichtig. „Eine Inobhutnahme in Fichtenau ist meist mit einem Schulwechsel verbunden, weil die Wege oft zu lang werden“, weiß Reuter. Eine Notunterbringung ist manchmal aber nur von kurzer Dauer, da sei es wünschenswert, das Kind oder den Jugendlichen in seiner alten Schule zu belassen.
Die Kinder und Jugendlichen, die von St. Raphael betreut werden, kommen mit seelischen Beeinträchtigungen oder Verhaltensauffälligkeiten. „Sie sind in einer Phase ihrer Kindheit oder Jugend in einer stationären Einrichtung, bearbeiten in dieser Zeit ihre Bedarfe und gehen in den meisten Fällen anschließend zurück in ihre Familien.“ Die Vermittlung erfolgt stets über das Jugendamt – unabhängig davon, ob der Jugendliche oder die Eltern den Bedarf anmelden oder ob der junge Mensch seelisch beeinträchtigt, depressiv oder traumatisiert ist.
Angebote der St. Raphael Kinder- und Jugendhilfe
St. Raphael wurde 1889 als Heim für Händlerkinder gegründet. Die Wohngruppen für Kinder und Jugendliche bilden nach wie vor einen Schwerpunkt im Angebot der Kinder- und Jugendhilfe. Heute gibt es 46 stationäre Wohngruppenplätze in sieben Wohngruppen, fünf in Fichtenau, eine in Crailsheim und eine (für Mädchen) in Schwäbisch Hall. In jeder Wohngruppe arbeitet ein Team von Fachkräften. Außerdem gibt es drei Plätze für Inobhutnahmen.
Junge Erwachsene, die aus den Wohngruppen herauswachsen, bekommen im betreuten Jugendwohnen Starthilfe und Begleitung für das Leben in einer eigenen Wohnung. Die Abteilung EZB/BJW begleitet den Weg aus der Einrichtung ins selbstständige Leben.
Ein weiteres Angebot sind die flexiblen Hilfen. Sie bieten Hilfen für Kinder an, die in ihrem Umfeld oder in der Schule Unterstützung im Umgang mit anderen benötigen.
In den Wohngruppen arbeiten 50 Fachkräfte, 35 sind bei den flexiblen Hilfen in Fichtenau, Crailsheim und Blaufelden beschäftigt und 25 machen Schulbegleitungen im Altkreis Crailsheim. Zwölf Mitarbeiter sind im betreuten Jugendwohnen im Einsatz.