Gleich zwei neue Gesichter gibt es von diesem Dienstagabend an im Gemeinderat von Bietigheim-Bissingen – wobei: Ganz neu ist keiner der beiden. Götz Noller, der für Dr. Dieter Baumgärtner den zweiten FDP-Platz einnimmt, war vor der Kommunalwahl 2014 schon im Rat, hatte aufgrund des schlechten Wahlergebnisses der Partei diesen Sitz aber verloren. Und auch Petra Kühlthau, die dann offizielles Mitglied der Freien Wähler-Fraktion wird, dürfte vielen ihrer künftigen Kollegen bekannt sein.
Denn sie habe in dieser Legislaturperiode bis auf eine alle Gemeinderatssitzungen besucht, berichtet die 52-Jährige. Schließlich könne es immer mal sein, dass jemand nicht die komplette Zeit dabei sei, und dann habe man als Nachrücker eine gute Chance. Zudem habe sie sich schon immer für die Lebensumstände in ihrer Stadt interessiert, sagt sie. Als dann die Freien Wähler auf sie zugekommen seien, habe sie nach einer kurzen Bedenkzeit zugesagt, zumal sie dort keinem Parteizwang unterlegen sei, so Kühlthau.
Es sei nun auch ihr politisches Ziel, „dass Bietigheim-Bissingen lebens- und liebenswert für alle Generationen bleibt“. Zudem will sie sich um das Thema Verkehr kümmern und mit nach einer Lösung suchen, dass die Staus aus der Stadt herausgehalten werden können. „Das ist eine Aufgabe für die nächsten zweieinhalb Jahre – wenn nicht sogar noch viel viel länger.“ Zudem ist für sie als ehemalige Gesamtelternbeiratsvorsitzende der geplante Schulbeirat ein großes Thema. Denn es sei wichtig, dass es ein Gremium gebe, an dem Vertreter von Schulen, Fraktionen und Verwaltung an einem Tisch sitzen und dadurch der Informationsfluss verbessert wird.
Um Verkehr und Stadtentwicklung will sich auch der Architekt Götz Noller kümmern, der von 2009 bis 2014 drittes FDP-Ratsmitglied war. Das seien auch die Bereiche, die in Bietigheim-Bissingen derzeit nicht gut liefen, sagt der 46-Jährige. Noller war bei seiner Verabschiedung von Kessing als „Verkehrspolitiker mit kühnen Ideen“ bezeichnet worden.
Passenderweise soll er künftig unter anderem im Technischen Ausschuss ordentliches Mitglied sein, ebenso in der neuen Arbeitsgruppe zur Nachnutzung des DLW-Geländes.
Dem Technischen Ausschuss gehörte auch der bisherige FW-Fraktionschef Steffen Merkle an und dort baute sich auch jener Verdruss des Ratsmitglieds auf, der schließlich zum Rückzug Merkles aus der aktiven Kommunalpolitik nach mehr als 12 Jahren im Rat führte (die BZ berichtete). Bei der Mandatsübergabe an diesem Dienstag im Rathaus wird Merkle nicht mit dabei sein – aus terminlichen Gründen und nicht etwa aus Protest gegen die Verwaltungsspitze. Wenngleich Merkle die Kritik an der Vergabepraxis im Rathaus nach wie vor aufrecht hält. „Ich bin nicht der einzige, der die Auftragsvergaben der Stadt kritisiert. Architekten und Handwerker klagen immer wieder darüber, dass heimische Bewerber nicht angemessen zum Zug kommen“, erklärte Merkle gegenüber der BZ. Er ist überzeugt, dass die Verwaltung der heimischen Wirtschaft auch im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten mehr entgegenkommen könne. Bauplaner Merkle wirft der Stadt und dem OB vor,  bei Auftragsvergaben unzureichend berücksichtigt zu werden und macht dafür nach einem Vorfall in nicht öffentlicher Sitzung sein Ratsmandat verantwortlich.
Auf seine Zeit im Gemeinderat blickt der bisherige Fraktionschef gern zurück, „auch wenn es immer wieder Zeiten gab, in denen die Arbeit weniger Spaß gemacht hat“. Merkle beobachtet aber auch die Veränderungen in der kommunalpolitischen Arbeit. „Es war früher leichter, einen Konsens zu finden, den alle Fraktionen unterschreiben konnte. Heute braucht es viel mehr Zeit, um zu Entscheidungen zu kommen, weil man sich im Rat nicht einigen kann. Ein Beispiel sind die Planungen für das ehemalige Valeo-Areal“, sagt Merkle.
Zeit kostet auch die immer intensivere Einbindung der Bürger in politische Entscheidungen. Dass Betroffene dann auch schon mal einen Gemeinderatsbeschluss zu Fall bringen, gehört für Merkle zur Demokratie, auch wenn er mit Sorge beobachtet, dass populistische Argumente heute mehr als Sachargumente wirken. „Ich denke nach wie vor, dass wir mit dem Bürgervotum, keine Biomöllvergärungsanlage im Steinbruch Fink zu bauen, eine Chance vertan haben.  Aber das sind die Spielregeln der Demokratie und die müssen wir akzeptieren.“
Die Frei-Wähler-Fraktion wird jetzt von Merkles Stellvertreterin Ute Epple geführt.

Ehrenamt, das immer weniger Ehre bedeutet?

Die Nachrücker sind motiviert – doch das Ehrenamt wird immer komplexer und es gibt immer mehr Gegenwind, Beispiel Biovergärungsanlage. Das mache das Regieren und die Motivation anderer für ein Ehrenamt als Stadtrat schwer, hatten einige Räte erst unlängst wieder gesagt. Auch die beiden Neuen wünschen sich, dass aus den Individual- mehr Gemeinschaftsinteressen würden, wenngleich es auch gut sei, wenn Bürger sich für Politik interessieren. Eine Einschätzung, die auch Stadträte anderer Kommunen teilen.
Florian Essig, mit 33 Jahren der Jüngste in Sachsenheim, kann der Einbindung der Bürger grundsätzlich durchaus Positives abgewinnen. „Wenn man die Bürger rechtzeitig miteinbezieht, erkennt man vielleicht Probleme, die man so gar nicht auf dem Zettel hatte.“ Doch auch der CDU-Mann denkt, dass die Arbeit im Gemeinderat schwieriger geworden ist. „Das hat man etwa bei der Bürgerbeteiligung im Seepfad gesehen. Auf den zeitlichen Faktor hat das schon erhebliche Auswirkungen. Zudem könne es passieren, „dass das Gefühl der Leute entscheidet. Menschen befinden allgemein Sachen für gut, aber nicht vor ihrer Haustür.“
Dieter Bertet ist seit 1971 Gemeinderat in Freudental. In diesen 36 Jahren habe er sich die Freude und die Lust am Mandat bewahrt. Es sei immer eine schöne Erfahrung gewesen, wenn es gelungen sei, die Mehrheit des Gremiums hinter einen eigenen oder einen Vorschlag seiner SPD-Fraktion zu bringen – „und das im Interesse der Bürger“, sagt der 76-Jährige. Am Amt schätzt er, dass Erfolg und Misserfolg unmittelbar offensichtlich werden und die Rückmeldung der Bürger auf dem Fuß folgt. Selbst wenn die Gespräche nicht immer positiv verlaufen, so seien sie doch ein Zeichen, „dass sich der Bürger für die Gemeinderatsarbeit interessiert“. Der Erweiterung der Bürgerbeteiligung durch die damalige grün-rote Landesregierung kann er ebenfalls nur positive Seiten abgewinnen. Bertet hat einst selbst mit anderen ein Bürgerbegehren beim Bau eines Sportplatzes eingeleitet. Beteiligung sei ein Zeichen für „lebendige Kommunalpolitik“. jsw/msc/sol