Am Sonntagmogen ist das traditionelle Winzerfestblasen der Posanuenchöre aus Besigheim und Ottmarsheim schon ein Vorbote für das, was kommt: Der lange Festumzug mit diesmal 77 Gruppen und üppig geschmückten Wagen ist neben dem Fest in den alten Gassen von Besigheim und in seinen Kellergewölben das eigentliche Highlight des Winzerfestes. Diesmal lautet das Motto „1219 bis 2019 Stadterhebung vor 800 Jahren“.
In der Hauptstraße ist kein Durchkommen mehr. Die Besigheimer Feuerwehr hat mit Bauzäunen die Menge von den Akteuren abgeschirmt. Bei strahlenden Spätsommerwetter läuft hier zwei Stunden lang ein Spektakel ab, das seinesgleichen sucht. Dass der Festumzug mit seinen vielen Themen so gut beim Publikum ankommt, ist der Verdienst des SWR-Moderators Gerd Motzkuss und dem Ersten Beigeordneten  der Stadt Besigheim Klaus Schrempf, dessen letztes Winzerfest als Organisator und Ideengeber des Umzuges geschlagen hat, da er im November in Rente geht. Jede der 75 Gruppen zieht an den beiden vorbei. Sie beleuchten Hintergründe und plaudern über Details aus der Stadtgeschichte Besigheims. Um die 1700 Teilnehmer gestalten hier einen Lindwurm, wie man ihn kaum wo anders findet mit historischen Kostümen und viel, viel altem Gerät aus der Land- und Weinwirtschaft.
Kaum ein historisches Ereignis bleibt unberührt. Jede Gruppe sucht sich ein Detail aus der vom bäuerlichen Leben geprägten Stadtgeschichte und setzt es um. Die Tanzsportgruppe Besigheim erinnert daran, dass es im Rathaus einst einen Tanzboden gab und stellt das Geschehen im Umzug nach. Die Belagerung von Herzog Ulrich vom August 1519 ist Thema, ebenso der Schwarze Tod, die Pest, die 512 Besigheimer in den Tod gerissen hat. Grinsend winkt der Sensenmann zu Gerd Motzkuss und Klaus Schrempf hinauf aufs Podium in der Hauptstraße. Mit weißem Badeschaum  schmeißen die Darsteller der Besigheimer Badstube um sich. „Im 18. Jahrhundert wurde sie geschlossen, weil sie in Verruf geraten war, wegen unzüchtigem Treiben“, erzählt Klaus Schrempf den Zuschauern links und rechts am Straßenrand.

Schüler als Sträflinge

Schüler der Friedrich-Schelling-Schule mimen Sträflinge und erinnern an die Zeit, als Besigheim Oberamtsstadt geworden ist. 150 Jahre Geschichte der Volksbank bildet der Umzug ab. „Wer möchte beim Anblick dieser reizenden Damen kein Konto eröffnen“, witzelt der Moderator. Immer wieder kommen Blaskapellen ins Spiel, die für Stimmung sorgen mit ihrer Musik. Alle Dirigenten werden namentlich begrüßt.
Szenen aus dem bäuerlichen Leben machen den Umzug besonders lebendig. Da sieht man auf einem Wagen eine Traubenlese-Mannschaft beim Vespern. Auf einem anderen wird Most gemacht. Die Apfelpresse ist in Aktion und vom Wagen herab wird frisch gepresster Saft verteilt. Das Metzgershandwerk wie es früher einmal praktiziert wurde, wird dargestellt.
Mitarbeiter der Felsengartenkellerei zeigen anschaulich, wie früher Wein gekeltert wurde. Beim Lesevesper auf dem Wagen fehlt noch nicht einmal der Luggeleskäs. Hinterher stolzieren Männer mit Bütten, die schon voll sind mit reifen Acolontrauben. Die Besigheimer Wengerter haben aus den Acolontrauben in kunstvoller Handarbeit eine 130 Kilogramm schwere Traube geflochten und tragen sie stolz mit einem Gestänge auf ihren Schultern.
Schließlich gibt es ganz großes Lob für die Ottmarsheimer. „Sie gestalten jedes Mal ihren eigenen Umzug im Umzug“, lobt Klaus Schrempf. Allein die Vielfalt an historischen Traktoren, die aus Ottmarsheim kommen ist immens. Das Ottmarsheimer Dorfleben nimmt ein eigenes Kapitel im Festumzug ein. Auf einem Wagen ist das Leben im Klassenzimmer dargestellt. Beim Waschtag von Anno dazumal greifen die Waschfrauen tief in den Zuber. „Das sind die Ottmarsheimer Waschweiber. Wer braucht denn da noch einen String-Tanga?“, witzelt Gerd Motzkuss. Ein Ein-Zylinder Allgaier aus dem Jahr 1951 lässt die beiden Moderatoren erschauern. Sogar einen Holzofen haben die Landfrauen von Ottmarsheim auf ihren Wagen hieven lassen, um zu zeigen, wie in alter Zeit Brot gebacken wurde. Die Ottmarsheimer Feuerwehr schießt den Vogel ab mit einer ellenlangen alten Feuerwehrleiter und anderen Löschutensilien. Und wer sehen wollte, wie in alter Zeit gewurstelt wurde, hatte auf dem Wagen der Metzger Gelegenheit dazu. Dort war sogar eine Räucheranlage aufgebaut.
Und plötzlich gesellten sich Volkstänzer in den Festumzug, die noch keiner zuvor in Besigheim gesehen hatte. „Das ist die Volkstanzgruppe Frommern aus Balingen“, stellt Klaus Schrempf die Tänzer vor, die sich schnell und professionell so im Kreis drehen, dass die Röcke fliegen. Und wo eine Gruppe tanzt, ist oft eine zweite nicht weit. Die Rattenstampfer aus Freudental sind eine Folkloregruppe, die ebenfalls an historischen Wurzeln knabbert. Begleitet von Dudelsack und Flötenspiel tanzen sie laut stampfend, damit Mäuse und Ratten vertrieben werden und nicht an der eben erst eingeholten Ernte nagen.
Auch die Schwarzen Jäger aus Erligheim stellen ein Ereignis dar. Sie lassen vor der Bühne des Moderatorenteams Böllerschüsse los, dass jedem Zuschauer kurz der Atem stockt. Dann kommt die Fünfte Jahreszeit ins Spiel. Die Krettenweiber und die Schalksteinnarren machen den Anfang. Und so schlängelt sich dieser bunte und konkurrenzlos schöne Lindwurm über das Kopfsteinpflaster von Besigheim und viele tausend Besucher haben ihre Freude an ihm.