Blau mit weißer Sohle: Die Segelschuhe in der Hand von Paula Lutum-Lenger sind einfache, billige Industrieware. Und dennoch kommt das Paar ins Museum. Denn die Schuhe erzählen die Geschichte einer Irakerin. Auf ihrer Flucht aus ihrem Heimatland nach Deutschland hat sie das Paar stets getragen. Die Treter waren Teil ihrer Schuluniform. Jetzt trägt sie sie nicht mehr, aber die Schuhe bleiben wichtig für sie als Erinnerung ihrer Flucht.
Paula Lutum-Lenger, Vize-Chefin des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg (HdG), stellt die Schuhe in die Vitrine „M“. „M“ wie Marsch. In der Vitrine mit dem „B“ wie Barriere zeigt sie den Rollstuhl einer behinderten Syrerin. Und unter „C“ den Chador einer weiteren Syrerin. Den Gebetsschal bekam sie zu ihrer Hochzeit. Auf ihrer Flucht nach Deutschland gab er ihr Wärme und Schutz.
Bisher enthielten die 26 Vitrinen vor dem Haus und im Foyer Objekte zu typisch baden-württembergischen Eigenschaften, Klischees und Besonderheiten: das Baden-Württemberg-ABC eben. Jetzt dreht das Museum die Perspektive um und erzählt „Überlebensgeschichten von A bis Z“. Damit gibt das Museum den Geflüchteten Stimme und Raum für ihre Sichtweisen. „Ihre Geschichten gehören auch zu unserer Geschichte, das wollen wir den Geflüchteten signalisieren“, sagt HdG-Leiter Thomas Schnabel. Am 18. Februar wird die Ausstellung geöffnet.
Doch jetzt schon erklingen am Eingang fremde Stimmen. Unter „L“ wie Listen – Zuhören macht sich das Stuttgarter Refugee-Radio bemerkbar, das seit Mitte 2016 sendet.
Im Innern des Museums zieht nach wie vor die Sonderausstellung über den Film-Pionier Carl Laemmle das Publikum an. 10 000 Besucher hat das Museum bereits registiert, allein in Laemmles Geburtstagswoche im Januar kamen 2500. Die Ausstellung läuft bis zum 30. Juli. Doch auch danach wird sich das Museum mit dem schwäbischen Hollywood-Erfinder beschäftigen. In Laupheim, dem Geburtsort Laemmles, wollen die Kulturwissenschaftler drei Räume im Großen Schloss mit Laemmle-Objekten bestücken.
Schnabel hofft, dass sich all diese Bemühungen nachhaltig auswirken werden. „Laemmle ist lang genug ignoriert worden“, sagt er, „wir sind froh, dass wir zu seiner Rehabilitierung beitragen konnten.“
Bei der nächsten Sonderausstellung taucht das Museum tief in die 60er Jahre ein. Die Macher wollen das Lebensgefühl dieser Umbruchszeit dokumentieren und zeigen, wie der Protest, die Popkultur und die Kunst der jungen Generation auch den deutschen Südwesten prägten.
Film- und Tonaufnahmen machen anschaulich, wie in der Cannstatter Diskothek „Conny“ getanzt wurde, Fotos dokumentieren den als Skandal empfundenen Auftritt des österreichischen Aktionskünstlers Otto Muehl bei der Eröffnung der „Bastion“ in Kirchenheim/Teck.
Die Kuratoren Sebastian Dörfler und Katja Nagel sind noch auf der Suche nach Objekten, die diese Zeit symbolisieren. Einen Teil haben sie schon gesammelt, etwa das Plakat des Stuttgarters Klaus Böhm, das zum Konzert von Gitarren-Idol Jimi Hendrix 1969 in Stuttgart entstand. Aber noch fahnden sie nach Konzertkarten, Transparenten oder Fahnen.
Was blieb von dieser turbulenten Zeit? Die Kuratoren werden zeigen, wie sich aus der Protestkultur der 60er Jahre eine Gesellschaft der Vielfalt entwickelte, mit Bürgerinitiativen und der Frauen-, Friedens-, Umwelt- und Anti-Atomkraft-Bewegung.
20.000 Besucher weniger
Rückgang Einen Besucherschwund hat das Haus der Geschichte Baden-Württemberg im vergangenen Jahr registriert. Das Museum an der Konrad-Adenauer-Straße, das die Historie des Südweststaats anhand von originalen Ausstellungsstücken lebendig macht, wurde 2016 von 125.000 Personen besucht. Das waren 20.000 weniger als 2015. Die Museumsleitung führt den Rückgang auf Brandschutzarbeiten zurück. Deretwegen konnte das Haus zwei Drittel des Jahres keine Sonderausstellung zeigen.
Kontakt Wer dem Museum Objekte aus den 60er Jahren anbieten will, wendet sich an [email protected] oder 0711 212-3964.