Die Gesellschaft ist vielfältig – das weiß Rosenfelds Bürgermeister Thomas Miller. Der 54-Jährige ist kommunaler Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderung. Im Gespräch mit unserer Zeitung spricht Miller über Barrierefreiheit, erzählt, wie er für die Belange von Menschen mit Behinderung sensibilisiert und was ihn im Amt manchmal frustriert.
Herr Miller, Sie sind seit 2015 ehrenamtlich Behindertenbeauftragter für den Zollernalbkreis. Was beschäftigt Sie aktuell?
Thomas Miller: Eines der großen Themen für mich ist immer die Sensibilisierung für verschiedene Themen. Zum Beispiel die leichte Sprache, die Barrierefreiheit oder die digitale Barrierefreiheit. In diesen Bereichen organisieren mein Team und ich Schulungen für die Verwaltung. Jetzt ganz aktuell ist aber auch die Barrierefreiheit der neuen Fahrzeuge der Regio-Stadtbahn Neckar-Alb ein Thema.
Inwiefern?
Freitag vor einer Woche fand der Besuch des Mock-Ups in Karlsruhe statt. Das ist ein Modell der geplanten Züge für die Regio-Stadtbahn, und dieses Modell haben wir besichtigt. Dazu haben wir verschiedene Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen mitgenommen, damit sie den Mock-Up auf Barrierefreiheit testen können.
Wer war bei dem Termin dabei?
Es war zum Beispiel eine blinde Person dabei. Aber auch Menschen mit unterschiedlichen Rollstühlen, auch Elektro. Die sind alle in dem Modell herumgefahren und haben ausprobiert, wie sie zurechtkommen. Ob die Stellplätze ausreichend sind, wie man sie erreichen kann. Ob die Knöpfe erreichbar sind, oder der Rollstuhl dann davorsteht. Also, es war sehr praktisch.
Woher kamen die Menschen mit Behinderung?
Die Regio-Stadtbahn ist ja eine Aktion der Landkreise Reutlingen, Tübingen und Zollernalb. Aus all diesen drei Landkreisen kamen Menschen dazu. Wir Kreisbehindertenbeauftragte haben danach geschaut, dass wir die unterschiedlichsten Einschränkungen mit dabeihaben, damit wir möglichst eine Vielzahl an unterschiedlichen Bereichen testen können. Denn: Es gibt nicht die Behinderung, so wie es auch nicht den Menschen gibt. Sondern es gibt eine Vielzahl an Einschränkungen und Menschen.
Bei einem Projekt wie der Regio-Stadtbahn... ist es da nicht schwierig, alle Bedürfnisse zu erfüllen?
Es funktioniert eigentlich relativ gut. Weitere Kreisbehindertenbeauftragte und ich hatten uns mit den Projektkoordinatoren der „Regional-Stadtbahn Neckar-Alb“-Projektgesellschaft in Mössingen vorab zusammengesetzt, denn die wollten von uns wissen: Worauf müssen wir achten? Damals hatte ich schon Kontakt zur Lebenshilfe Zollernalb, dort haben Fachleute aus der Praxis mit ihren Augen auf die Pläne draufgeschaut. Und eine Kollegin aus Tübingen sitzt selbst im Rollstuhl. Wir konnten also schon viel im Voraus mitteilen, was das Projektbüro bei der Planung mit einfließen lassen muss. Und für den Besichtigungstermin des Mock-Ups hatten wir auch im Vorhinein besprochen, dass dort Menschen mit verschiedenen Einschränkungen dabei sein werden.
Was hat sich denn bei dem Besichtigungstermin herausgestellt?
In dem Zug, der bei uns letztlich fahren soll, ist eine Toilette geplant. Da haben wir dann festgestellt: So wie es in der Theorie geplant ist, hat es in der Praxis nicht funktioniert.
Was war das Problem?
Der Platz war zu eng. Für normale Rollstühle war es in Ordnung, aber wenn Elektro-Rollstühle in der Kabine sind, muss jemand von seinem Rollstuhl auf die Toilette kommen. Und das war nicht möglich.
Wenn Sie auf Ihre bisherige Zeit im Ehrenamt zurückblicken: Was hat sich schon getan?
Einmal ist es immer wieder die Sensibilisierung für die unterschiedlichen Themen. Ich merke, dass die Kolleginnen und Kollegen sehr offen dafür sind, entsprechende Schulungen anzunehmen. Eine weitere wichtige Thematik ist der barrierefreie ÖPNV. Da haben wir im Zollernalbkreis das Haltestellenprogramm auf den Weg gebracht. Dafür bin ich dem Kreistag sehr dankbar. Dabei werden peu à peu die Haltestellen im Kreis ausgebaut. Und wenn jemand persönlich gewisse Herausforderungen hat, zum Beispiel eine bestimmte Unterstützung braucht, setzen wir uns dafür ein.
Gibt es etwas, wofür Sie nicht verantwortlich sind?
Manche glauben, wir bearbeiten und entscheiden über Anträge. Das machen wir nicht. Wir sind keine Superbehörde, sondern machen das im Ehrenamt.
Sie tauschen sich auch mit dem Landratsamt aus. Wie klappt das?
Vieles geht schnell, über manches wird länger diskutiert. Natürlich sind wir immer wieder anderer Meinung, aber wir finden einen gemeinsamen Weg, dass es dann auch zielführend ist und wir weiterkommen.
Wie versuchen Sie, für die Belange von Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren?
Wir laden zu verschiedenen Schulungen ins Landratsamt ein. Zum Beispiel Thema Barrierefreiheit: Da haben wir alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bauämter eingeladen, etwas über barrierefreies Bauen zu lernen. Und als zum Beispiel die Gesetzesänderung kam, dass Homepages barrierefrei werden müssen, haben wir auch die entsprechenden Leute informiert und Referenten kontaktiert, damit wir mit Schulungen auf die Rathäuser zugehen können.
Sind Sie auch im Austausch mit Menschen mit Behinderung?
Auch. Ich bin meistens bei den Selbsthilfegruppen des Zollernalbkreises dabei oder bei den großen Einrichtungen, zum Beispiel bei der Lebenshilfe. Da bin ich im Austausch. Oder es kommen die Angehörigen oder Eltern auf uns zu.
Sie machen das Ehrenamt seit 2015. Woran hapert es am meisten?
Wir können die Leute immer nur darauf hinweisen und das Bewusstsein schaffen. Wir werden nicht schlagartig barrierefrei. Es ist ein Prozess, bei dem man die Leute mitnehmen muss und manchmal ist es auch ein ständiges Werben, das auch frustrierend sein kann. Aber ich bin grundsätzlich Optimist. Schritt für Schritt kommen wir weiter. Und was ich immer wieder betone, wenn es zum Beispiel um die Frage geht, warum es barrierefreie Haltestellen braucht: Das ist nicht nur wichtig für den Rollstuhlfahrer. Es gibt auch mobilitätseingeschränkte, ältere Personen, die mit einem Rollator umgehen müssen und sich auch über barrierefreie Haltestellen und Niederflurbusse freuen.
Menschen mit Behinderung erfahren auch sexualisierte Gewalt. Kommen da auch Menschen auf Sie zu?
Ich weiß von unseren landesweiten Sitzungen, dass es immer wieder ein Thema ist. Bei uns im Zollernalbkreis ist bei mir oder beim Landkreis bisher noch niemand auf uns zugekommen. Aber ich weiß, alle sind am Thema dran und sind sensibel.
Warum wollten Sie das Ehrenamt übernehmen?
Meine Eltern sind gehörlos, genauso mein Onkel und meine Tante. Ich bin also schon immer in einer Welt aufgewachsen, in der Leute mit Einschränkungen leben. Deswegen habe ich von klein auf ein Verständnis für Menschen mit Einschränkungen, in diesem Fall wegen Gehörlosigkeit, entwickelt. Es ist mir also wichtig, Menschen ohne Behinderungen darauf hinzuweisen, dass es in unserer Gesellschaft Menschen gibt, die aus den unterschiedlichsten Gründen Einschränkungen haben. Und: Es kann von heute auf morgen jedem so gehen. Denn nicht jeder Mensch mit Behinderung hat diese von Geburt an, sondern manches passiert auch durch einen Unfall.
Zur Person
Thomas Miller ist seit 2004 Bürgermeister der Stadt Rosenfeld. Es ist seine dritte Amtszeit. Seit er 2015 das Ehrenamt als Behindertenbeauftragter im Zollernalbkreis übernahm, denkt der 54-Jährige auch als Bürgermeister die Belange von Menschen mit Behinderungen verstärkt mit.