Es sind Branchen, in denen Ellenbogen gefordert sind: Bei großen Automobilherstellern und in IT-Firmen ist die Belegschaft nach wie vor Männer-geprägt. Wer seine Karriere vorantreiben möchte, muss sich zeigen. Ein extrovertiertes, selbstsicheres Auftreten kann ausschlaggebend sein. Frauen fällt das tendenziell schwerer als Männern – vor allem in Männer-dominierten Branchen. „Dabei sollte doch entscheidend sein, wer fachlich stark ist“, sagt Janice Klaiber.
Das Gefühl, sich im Unternehmen verstellen zu müssen, um die Karriereleiter aufzusteigen, ist eine Herausforderung, vor der viele Berufseinsteigerinnen stehen. Janice Klaiber arbeitet seit einem halben Jahr für die weltweit agierende und bekannte Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey&Company. In ihrem Umfeld hat sie nun viele weibliche Vorbilder, die sie beim Berufseinstieg unterstützen.
Doch in vorherigen Erfahrungen in der Automobil- und IT-Branche hat die 24-jährige Balingerin das anders erlebt. „Es fehlen Frauen als weibliche Vorbilder in Führungspositionen. Gerade in der Informatik – einer Branche, die enorm schnell wächst und viele Bereiche des Lebens beeinflusst – ist man als Frau oft auf sich allein gestellt.“ In Bereichen, in denen wenige Frauen arbeiten, rücken auch wenige nach. „Es braucht Vorbilder, an denen man sich orientieren kann. Und die zeigen: In dieser Branche kann man auch als Frau eine tolle Karriere starten“, sagt Klaiber.
Geringer Verdienst in bestimmten Branchen
Der Equal-Pay-Day am Dienstag, 7. März, hat noch einmal die gravierenden Unterschiede gezeigt: In Baden-Württemberg verdienen Frauen etwa 23 Prozent weniger als Männer – ein Grund dafür ist, dass Frauen häufiger in Brachen arbeiten (Dienstleitungs-, Gesundheits- und Sozialberufe), die schlechter bezahlt werden als viele Berufe in der freien Wirtschaft.
Gelebte Philosophie ist wichtig
Der Balingerin ist das Thema Frauen in der Wirtschaft wichtig. Die Absolventin der ESB Business School der Hochschule Reutlingen ist Mitglied des ESB Women’s Club, in dem sich Alumni der Reutlinger Hochschule vernetzen und gegenseitig unterstützen. Klaiber betont, dass sich viele Unternehmen, wie auch McKinsey, bereits im Recruiting von Frauen bemühen. „Die Einstellung hat sich gewandelt. Viele Entscheidungsträger erkennen, wie wichtig Diversität für den Unternehmenserfolg ist.“ Doch weiterhin gibt es Aufholbedarf.
Was sagt Klaiber zur Frauenquote?
Die Frauenquote ist für Klaiber daher trotz kontroverser Aspekte – „keine Frau möchte eine Quotenfrau sein“ – ein wichtiges Instrument: „Es setzt das richtige Signal und kann einen Push geben, um Strukturen in der Arbeitswelt schneller anzupassen.“ Denn bis Rahmenbedingungen angepasst und Strukturen geschaffen sind, dauere es zu lange. Eine funktionierende Kinderbetreuung, die es Frauen ermöglicht, nach der Schwangerschaft früher in den Beruf zurückzukehren, ist unabdingbar. Auch Führungspositionen in Teilzeit zu erlangen, werde zwar immer mehr angeboten, sei aber keinesfalls selbstverständlich.
Und nicht immer sind es die äußeren Strukturen, die Frauen in der Wirtschaftswelt herausfordern. Je nach Ebene und gelebter Philosophie im Arbeitsalltag sind bestehende Ansichten stark verankert. „Für Frauen ist es meiner Erfahrung nach nicht so leicht, sich ein Netzwerk aufzubauen, wenn viele Kollegen und Ansprechpartner männlich sind“, sagt Janice Klaiber. Es sollte keineswegs nur ein „To-Do“ der Frauen sein, sich ein Netzwerk zu schaffen, sondern die gesamte Belegschaft inklusive Führungspositionen sollte dahingehend sensibilisiert werden. Und: Frauen müssen sich gegenseitig unterstützen – so wie das beim ESB Women’s Club vorgelebt wird.
Klaiber hat für ihre Masterthesis an der HEC Paris zur schnelleren Dekarbonisierung von Unternehmen einen Preis erhalten. Bald publiziert sie ihr erstes Paper in einem IT-Journal über Künstliche Intelligenz und erneuerbare Energien. In den nächsten eineinhalb Jahren wird sie als Beraterin im Fellow-Programm bei McKinsey arbeiten, danach strebt sie ein Doktorprogramm an. McKinsey stellt Beschäftigte für deren Promotion frei und unterstützt mit einem Jahresgehalt. Die Karriere der Balingerin hat folglich gute Prognosen – und Janice Klaiber kann selbst ein Vorbild für andere junge Frauen sein.
Europas BIP um 600 Milliarden Euro steigern
Laut einer McKinsey-Analyse kann ein höherer Frauenanteil eine Lösung zur Stärkung der Innovationsfähigkeit Europas sein. Denn: In Europa fehlen bis 2027 zwischen 1,4 und 3,9 Millionen Arbeitskräfte im Technologieumfeld, in Deutschland alleine 780 000. Die steigende Nachfrage nach europäischen Talenten im Technologiebereich kann durch den heutigen, überwiegend von Männern geprägten Talentpool nicht gedeckt werden.
Gelingt es den 27 EU-Mitgliedsstaaten jedoch, den Frauenanteil in Tech-Rollen von heute 22 Prozent auf bis zu 45 Prozent 2027 zu verdoppeln, könnte Europas BIP laut Analyse um 260 bis 600 Milliarden Euro steigen.
Dies geht aus der Studie von McKinsey & Company mit dem Titel „Women in tech: The best bet to solve Europe‘s talent shortage“ hervor. swp