Museen zeugen noch vom alten Glanz der Textilindustrie im Zollernalbkreis. Am bekanntesten ist das Maschenmuseum in Albstadt-Tailfingen, in dem die Geschichte der Maschenindustrie im Raum Albstadt von 1750 bis heute dargestellt ist. Ein alter Handculierstuhl, das Arbeitsgerät der Strumpfweber, verweist beispielsweise auf die Ursprünge der handwerklichen Trikotagenproduktion, Spulmaschinen, Rundwirkstühle und eine historische Dampfmaschine lassen die Entwicklung, den Wandel dieses Produktionszweigs nachvollziehen.
Sie zeigen auch die Bedeutung der Branche für die Region. Doch welche Bedeutung hat die Textilherstellung heutzutage überhaupt noch für die Gegend, die einst als Hochburg galt? Ist der Glanz vorbei? Nicht ganz. Technische Textilien und neue Techniken bieten auch neue Chancen. Und es gibt noch Vorzeigeunternehmen wie Trigema in Burladingen oder den Wäschehersteller Mey, der am Standort Albstadt festhält.
Ort sehr verbunden
„Durch die Gründung des Unternehmens am Standort Albstadt-Lautlingen 1928 sind wir insbesondere mit dem Ort und der Region seit Generationen verbunden und verwurzelt“, erklärt Matthias Mey, Geschäftsführender Gesellschafter, auf Anfrage unserer Zeitung. Er ist sich sicher: „Wir kennen die Menschen und die Menschen kennen uns. Wir beschäftigen viele langjährige und vertrauensvolle Mitarbeiter mit sehr viel Erfahrung im textilen Bereich.“
Nach den Vorzügen der Region gefragt, verweist er auf das textile Cluster mit der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, den „versteckten Champions“ der Region wie beispielsweise die Firma Groz-Beckert – Weltmarktführer für industrielle Maschinennadeln – oder Mayer & Cie. GmbH & Co. KG als Marktführer in der Herstellung von Rundstrickmaschinen sowie diversen textilen Zulieferern und Färberein. „Die Nähe zu den genannten Lieferanten und Partnern ist sicherlich von Vorteil“, erklärt er.
Früher 35 000 Textil-Mitarbeiter
Betrachte man jedoch den internationalen Beschaffungsmarkt, relativiere sich dieser Vorteil. Die Region leidet unter dem Zerfall der Textilindustrie, sagt Mey. „In den 70er Jahren waren rund 35 000 Mitarbeiter im Bereich Bekleidung im Zollernalbkreis beschäftigt, heute sind es deutlich weniger.“
Die Zahlen sind tatsächlich deutlich. Laut Daten der Agentur für Arbeit Balingen gab es Stand Juni vergangenen Jahres 76 Betriebe im Zollernalbkreis, die Textilien herstellen, mit 1145 Beschäftigten. 38 Unternehmen produzierten Bekleidung, hier arbeiten rund 2300 Menschen. Lederwaren und Schuhe werden gar nicht mehr hergestellt. Im gesamten Bereich des Arbeitsamts Balingen, zu dem auch der Landkreis Sigmaringen gehört, sind es 78 Textilhersteller und 40 Bekleidungsproduzenten. Also liegt der Großteil immer noch im Zollernalbkreis.
Schuhhersteller verschwunden
Sogar vor fünf Jahren waren es noch mehr. Da stellten im Kreis 97 Unternehmen mit 1420 Mitarbeitern Textilien her, 41 Bekleidung, allerdings mit weniger Mitarbeitern – 2090. Im Arbeitsagenturbereich gab es immerhin fünf Hersteller von Leder, Lederwaren und Schuhen. Inzwischen laut Statistik gar keine mehr.
Von der inzwischen laut Arbeitsagentur 2300 Mitarbeitern von Textilherstellern sind alleine 550 Mitarbeiter bei Mey beschäftigt, sagt der Geschäftsführer. „Viele ursprünglich hier ansässige Textilunternehmen haben ihren Standort ins Ausland verlagert, insbesondere nach Asien. Somit gehören wir zu den letzten noch verbliebenen vollstufigen Bekleidungsunternehmen in Deutschland.“
Kreative Jobs schwer zu besetzen
Das hat Folgen. Zwar finde man wegen des guten Rufs der Marke noch Fachkräfte in bestimmten Bereichen. „Dagegen ist es oftmals schwieriger, Mitarbeiter für kreative Berufsgruppen wie beispielsweise Design oder digitale Bereiche zu finden. Die bevorzugen im Allgemeinen eher ein Leben in urbanen Gegenden, Großstädten und in internationalen Metropolen.“ Tailfingen geht nun wirklich nicht als Metropole durch. Es gestalte sich zunehmend schwierig, geeignete Mitarbeiter zu finden. „Nicht zuletzt ist dies auch der mangelnden Verkehrsanbindung im Zollernalbkreis geschuldet“, sagt Mey. Ein Mitarbeiter aus dem Raum Tübingen, Reutlingen oder Stuttgart müsse einen Anfahrtsweg von einer Stunde mit dem Auto in Kauf nehmen. Die Nutzung des ÖVPN gestalte sich noch schwieriger.
Er holt zu einem Rundumschlag gegen die Bedingungen aus. Deutschland biete heutzutage zu wenig Wettbewerbsvorteile um eine Ansiedlung oder Niederlassung der Textilindustrie weiterhin attraktiv zu gestalten. „Nicht nur die produktiven Löhne liegen bei uns 10 bis 14 Mal höher als beispielsweise in Asien, sondern auch Kunden sind immer weniger bereit für nachhaltig hergestellte Produkte einen angemessenen Preis zu bezahlen“, sagt Mey.
Viel Bürokratie
Hinzu kämen erschwerte Bedingungen durch Regularien wie Umweltstandards, Lieferkettengesetz oder erhöhte Dokumentationspflicht und „unnötige Bürokratie der Arbeitsabläufe und Prozesse“. Im Gegenzug werde von der Politik nichts unternommen, um den nachhaltigen Produktionsstandort Deutschland zu stabilisieren – beispielsweise durch die Erhebung von Zöllen auf Billigimporte aus Asien. „Somit kommt das gesamte System in Disbalance und stellt uns vor die immer größer werdende Herausforderung als Unternehmen international weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Ein Drittel sieht sich bedroht
Deutschlandweit sahen sich Ende 2022 ein Drittel der Unternehmen der Textil- und Bekleidungsindustrie durch die Energiepreise existenziell bedroht, in Baden-Württemberg sogar mehr als die Hälfte. Das Stimmungsbild der gemeinsamen Umfrage des Wirtschafts- und Arbeitgeberverbands Südwesttextil mit dem Gesamtverband textil+mode wird in einer entsprechenden Mitteilung als dramatisch bezeichnet. Das hat Folgen. Deutschlandweit befassen sich laut der Umfrage 43 Prozent der Unternehmen mit dem Gedanken, die Produktion ins Ausland zu verlagern. 14 Prozent haben diesen Prozess bereits gestartet. Im Südwesten liegen die Ergebnisse deutlich niedriger: bei nur 3,1 Prozent. Südwesttextil-Hauptgeschäftsführerin Edina Brenner erklärt dazu: „Viele unserer Mitgliedsunternehmen entscheiden sich seit Jahren bewusst für den Erhalt der regionalen Produktion und möchten auch in Zukunft daran festhalten.“