Vor weniger als zwei Wochen hat die Diözese Rottenburg-Stuttgart sämtliche noch geltenden Corona-Beschränkungen aufgehoben. „Mundkommunion war bisher unmöglich“, sagt Pater Augusty Kollamkunnel O. Praem. Nun sei das anders. Auch Desinfizieren der Hände sei bisher ein Muss gewesen, sagt der Dekan des katholischen Dekanats Balingen und Pfarrer in Geislingen. Jetzt gelte auch das nicht mehr, die Möglichkeit dazu geben will Pater Augusty trotzdem. Auch beim Friedensgruß könne man sich ab jetzt wieder die Hände reichen.
In der Corona-Zeit sei vieles schlimm gewesen, erinnert sich Pater Augusty. Beispielsweise, dass Taufen und Hochzeiten verschoben werden mussten. Oder zu Beerdigungen maximal zehn Personen kommen durften. „Ich freue mich, dass jetzt wieder das normale Leben zurückkehrt“, sagt Pater Augusty. Wallfahrten nach Rom und Israel könnten nachgeholt werden, in der Grundschule in Geislingen und Binsdorf könne er längst wieder ohne Maske unterrichten.
Was den Pater beim diesjährigen Dreikönigstag überraschte: Es wurde viel gespendet – mehr als vor der Corona-Zeit. „2019 oder früher kamen in Geislingen immer circa 16 000 Euro bei der Sternsinger-Aktion zusammen.“ Dieses Jahr seien es bis zu 20 000 Euro gewesen. „Eigentlich dachten wir, es wird weniger sein, weil manche wegen Corona ihre Arbeit verloren haben“, sagt der Pfarrer. „Vielleicht denken sich die Leute aber, es gibt Menschen, die noch mehr leiden als wir.“
Menschen in Balingen/Geislingen: Angst vor Ansteckung?
Was die Gottesdienste angeht, hat die Zahl der Besucherinnen und Besucher unter Corona gelitten. „Vor der Corona-Zeit waren es wenig“, sagt Pater Augusty. „Jetzt nach Corona sind es noch einmal weniger geworden.“ Auch Menschen, die immer in die Kirche gekommen sind, halten sich zurück. „Ich glaube, viele haben noch Angst davor, krank zu werden, wenn sie in eine große Gesellschaft kommen.“ Im Dekanat Balingen gebe es rund 30 000 Katholikinnen und Katholiken, in Geislingen 2600. „Selbst an Weihnachten kommen vielleicht 600 Leute“, sagt Pater Augusty. „Es ist gut, wenn 600 Leute kommen. Aber das heißt auch, dass 2000 Leute nicht in die Kirche kommen.“
Die Zahl der Kirchenaustritte sei stark angestiegen. „Als ich vor elf Jahren hier hergekommen bin, waren es knapp über zehn Leute, die jedes Jahr in Geislingen austraten“, erinnert sich der Pfarrer. Vergangenes Jahr sah das anders aus. „In Erlaheim sind zehn Leute ausgetreten, in Binsdorf waren es elf Leute.“ In Geislingen seien es 59 Menschen und in Rosenfeld 27 gewesen. „So viele waren es noch nie.“ Grund könne die Kirchensteuer sein. „Und wenn wir in die Presse schauen: Die Kirche wird von allen Seiten attackiert.“ Die Kirche habe ihre Fehler, trotzdem werde arg kritisiert.
Kirche im Dekanat Balingen: Leere Kirchenbänke?
Die Medienkritik bezieht sich oftmals auf die Missbrauchsfälle und den Umgang der Kirche mit den Opfern. Pater Augusty bezweifelt, dass jeder Missbrauchsfall passiert ist. „Von einem Pfarrer wird gesagt, er habe einen Ministranten missbraucht. Der Pfarrer ist seit 30 Jahren tot“, sagt Augusty. „Wie soll man das jetzt nachprüfen?“ Manche Leute würden das ausnutzen wollen. Natürlich gebe es aber auch viele bestätigten Fälle, jeder davon sei schlimm. Laut einer im Jahr 2018 von der Deutschen Bischofskonferenz vorgestellten Studie wird, was die bekannten Fälle angeht, von mindestens 1670 beschuldigten Geistlichen und 3677 missbrauchten Minderjährigen ausgegangen.
Wenn Pater Augusty vor leeren Kirchenbänken Messe hält, fühlt er sich trotzdem nicht allein. „Ich sehe dann alle Leute vor mir, die zur Gemeinde gehören“, sagt er. Gibt es anlassbezogene Gottesdienste, dann sei die Kirche voller. Deswegen plant der Pater für das Kirchenjahr viel. Aktuell findet die ökumenische Vesperkirche statt, am Dienstagnachmittag war er dort. „Ich habe kein Essen mehr bekommen, so viele Leute waren da.“ Auch bei der Gartenschau wird das Dekanat vertreten sein. Dann gibt es auch noch die psychologische Beratungsstelle in Ebingen und die Seelsorge auf dem Kleinen Heuberg und auf dem Palmbühl. Im Herbst soll gar ein erster Tiersegnungsgottesdienst stattfinden.
In der Kirche fehlen vor allem Kinder und Jugendliche. Deswegen will Pater Augusty gerade für sie viel anbieten, beispielsweise einen Autosegnungsgottesdienst für 18-Jährige. „Kinder und Jugendliche brauchen Events“, sagt der Pater. Und: „Wenn Kinder kommen, dann kommen auch ihre Eltern, ihre Geschwister, ihre Oma und ihr Opa. Dann haben wir eine lebendige Kirche.“ In Geislingen gibt es aktuell 50 Ministranten. Kürzlich habe ihn eine Schülerin angerufen. Sie wolle zum Beichten kommen. „Das ist ein Wunder für mich“, sagt Augusty. Und ein 13-Jähriger habe ihm erzählt: „Er betet jeden Abend einen Rosenkranz und jeden Morgen das Vaterunser.“ Und zwar für die Armen.
Jeder brauche einen Halt. „Vor Corona haben wir gedacht, wir haben alles im Griff.“ Dem sei nicht mehr so, auch der Krieg in der Ukraine gebe vielen Menschen ein Gefühl von Hilflosigkeit. „Und was gibt mir Halt?“, fragt Pater Augusty. Seine Antwort: sein Glaube.
Frauen in der Katholischen Kirche
„Wenn ein Kind getauft wird, dann sage ich dem Kind: Du bist getauft zum Priester, König und Propheten in Ewigkeit“, sagt Pater Augusty. Deswegen könne er nicht verstehen, dass nur Männer Kirche machen dürften. „Aber in der katholischen Kirche ist das schwierig. Von heute auf morgen wird sich nichts ändern.“
Ob er es noch erlebt, dass Frauen in der katholischen Kirche gleichberechtigt zu den Männern sind, wisse er nicht. Aber: „Ich denke, die Chancen stehen gut.“ Unter anderem auch, da bis 2030 viele pastorale Mitarbeiter in Rente gehen und Nachwuchs fehlt.
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