Es ist eine Zahl, die schockiert und betroffen macht. An 255 Tagen im vergangenen Jahr war im Frauenhaus Zollernalbkreis keine Aufnahme möglich. Es war schlicht kein Platz. Das zeigen Zahlen des Recherchenetzwerks Correctiv.Lokal in Kooperation mit der SÜDWEST PRESSE. An diesen Tagen mussten die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus Hilfesuchende mit Telefonnummern weiterschicken. Hoffen, dass es in anderen Landkreisen freie Plätze gibt für Frauen, die Schutz suchen vor Partnern oder Ex-Partnern, die sie misshandeln, demütigen, schlagen.
„Wenn wir Frauen abweisen müssen, dann oft, weil wir einfach voll sind“, erklärt eine Mitarbeiterin des Frauenhauses. Zum Schutz der Frauen möchte sie nicht, dass ihr Name genannt wird. Auch der Standort des Frauenhauses ist geheim. Rund 400 davon gibt es in ganz Deutschland. Sie arbeiten an der Belastungsgrenze.

Recherche: Frauenhäuser durchschnittlich an 303 Tagen voll

Wie sehr zeigen die Daten von Correctiv.Lokal. Für rund 200 Frauenhäuser in 13 Bundesländern hat das Recherchenetzwerk die Belegungsdaten erhoben. Das Ergebnis: Bundesweit konnten in Frauenhäusern im Durchschnitt an 303 von 365 Tagen (83 Prozent) keine Frauen aufgenommen werden. In den 22 von Correctiv.Lokal analysierten Frauenhäusern in Baden-Württemberg waren es 302 von 365 Tagen.
Der Zollernalbkreis steht also im Vergleich ein wenig besser da. Die Zahlen sind dennoch alarmierend. Die Belegungszahlen schwanken von Monat zu Monat. Manchmal sind sie verhältnismäßig niedrig: Im Januar 2022 konnte an 25 Prozent der Tage niemand mehr aufgenommen werden. Im Juli waren es dann 93 Prozent der Hilfesuchenden, die das Frauenhaus wegschicken musste.
Hat das Frauenhaus keinen freien Platz oder aber keinen, der für die Betroffene geeignet ist, leiten Mitarbeiterinnen die Frau weiter. Dabei hilft die Seite www.frauenhaus-suche.de. Dort zeigt ein Ampelsystem, wo es noch freie Plätze gibt, auch für Kinder. „Ob das andere Frauenhaus die Frau dann aufgenommen hat, wissen wir leider nicht“, sagt die Mitarbeiterin. Es schmerze sie, die Betroffenen weiterzuschicken. Hat eine Betroffene Zeit, ihre Flucht zu planen, halten die Mitarbeiterinnen für kurze Zeit ein Zimmer frei.

In Baden-Württemberg fehlen mindestens 650 Frauenhaus-Plätze

„Es gibt trotzdem viel zu wenig Plätze“, sagt die Frauenhausmitarbeiterin. Gerade an Wochenenden sei es oft schwierig, einen Ort zu finden. „Wir hatten Wochenenden, an denen in Bayern und Baden-Württemberg kein Platz frei war“, erzählt sie. Dann vermitteln sie die Frauen nach Hessen oder weiter in den Norden. Doch überall ist der Platz für die Schutzsuchenden knapp.
Der Europarat empfiehlt, dass es einen Frauenhausplatz pro 7500 Einwohnern geben soll. Auf Grundlage dieser Zahlen hat Correctiv.Lokal ermitteln, dass bundesweit 3470 Frauenhausplätze fehlen. Die autonomen Frauenhäuser sprechen von 15 000 fehlenden Betten. In manchen Bundesländern ist die Lage dramatischer als in anderen – auch in Baden-Württemberg. Im Südwesten gab es im vergangenen Jahr 835 Plätze. Um die Empfehlung zu erfüllen, wären 650 zusätzliche Betten nötig.

Frauenhaus Zollernalbkreis sucht neues Haus

Auch das Frauenhaus im Zollernalbkreis will das Angebot ausbauen. „Wir wollen vier Plätze mehr anbieten, weil wir merken, dass der Bedarf da ist“, erläutert die Mitarbeiterin des Frauenhauses. Aktuell gibt es dort Platz für acht Frauen und zehn Kinder. Seit zwei Jahren suchen sie ein neues Haus. Einfach ist das nicht, denn das Haus muss verschiedene Kriterien erfüllen.
„Im Moment können wir keine Frau aufnehmen, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist“, erläutert die Frauenhausmitarbeiterin. Deshalb suchen sie Räumlichkeiten, die barrierefrei sind. 16 Zimmer bräuchten sie, möglichst mit Waschbecken ausgestattet. Ein Haus mit Einliegerwohnung würde es dem Frauenhaus zudem ermöglichen, Frauen mit Söhnen über 14 Jahren aufzunehmen. Die Lage ist ebenfalls entscheidend. „Viele Frauen haben kein Auto, da ist ein Bahnhof zwingende Voraussetzung“, erläutert die Frauenhausmitarbeiterin. Auch Einkaufsmöglichkeiten vor Ort, Schulen, Kindergärten und eine ärztliche Versorgung sind unabdingbar. Und das Frauenhaus wünscht sich Räume, in denen auch Haustiere untergebracht werden können. „Kann die Frau ein Haustier bei der Flucht nicht mitnehmen, ist das oft ein Hindernis“, sagt die Mitarbeiterin des Frauenhauses. Die Verbundenheit mit dem Tier erschwere die Flucht.
Die ist für viele von Gewalt betroffene Frauen ohnehin schwer. Im Frauenhaus rufen sie von der Arbeit oder beim Einkaufen an, damit der gewalttätige Partner nichts mitbekommt. Manchmal melden sich Freundinnen, Eltern oder die Polizei. Die Mitarbeiter im Frauenhaus beraten die Betroffenen, überlegen gemeinsam, wann und wie die Frau fliehen kann und wo ein guter Platz ist. Zieht eine Frau ins Haus, beraten die Mitarbeiterinnen sie dort weiter, helfen bei Anträgen, Anwaltsgesprächen und der Wohnungssuche. Auch pädagogische Angebote gibt es. Eine Kunsttherapeutin arbeitet mit Kindern, die Gewalterfahrungen gemacht haben. Es gibt therapeutisches Reiten und gemeinsame Ausflüge. Wie lange die Frauen bleiben, ist unterschiedlich. „Manche bleiben nur ein Wochenende, manche drei oder vier Monate“, sagt die Mitarbeiterin. Aber auch längere Aufenthalte sind möglich.

Frauenhaus finanziert über Tagessätze

Das alles kostet Geld. Wie die Finanzierung funktioniert, ist bei Frauenhäusern unterschiedlich. Manche werden von Landkreis oder Kommune getragen. Das Frauenhaus im Zollernalbkreis ist autonom. Die Arbeit finanzieren sie über Spenden, Programme des Bundes und Landes und Tagessätze. Das bedeutet, dass Frauen, die dort wohnen, eine feste Summe am Tag zahlen. Die unterscheidet sich je nachdem, ob sie allein oder mit Kindern dort lebt. Bekommt die Frau Sozialleistungen, übernimmt dies das Jobcenter. „Schwieriger wird es bei Selbstzahlerinnen“, sagt die Frauenhausmitarbeiterin. Das gilt zum Beispiel für Studentinnen oder Rentnerinnen.
Kann sich eine Frau den Aufenthalt nicht leisten, bleibt das Frauenhaus auf den Kosten sitzen. „Wir versuchen den Frauen entgegenzukommen, aber sind natürlich auch auf die Finanzierung angewiesen, um weiter bestehen zu können“, sagt die Mitarbeiterin.

Frauenhaus-Finanzierung: Gesetz ändern

Damit der Schutz von Frauen keine Frage des Geldbeutels ist, kämpfen die Frauenhäuser in Baden-Württemberg für eine einzelfallunabhängige Finanzierung. Die SPD will einen solchen Gesetzesentwurf in den Landtag einbringen. Denn aktuell übernimmt das Land die Kosten für einen Aufenthalt im Frauenhaus nur in wenigen Fällen. Der kann im Zweifelsfall aber Leben retten. Denn immer noch tötet in Deutschland alle drei Tage ein Partner oder Ex-Partner eine Frau. Mehr Plätze in Frauenhäusern und flächendeckende Beratungsstellen, können helfen, diese Zahl zu senken.

Info Diese Recherche ist Teil einer Kooperation der SÜDWEST PRESSE mit CORRECTIV.Lokal, einem Netzwerk für Lokaljournalismus, das datengetriebene und investigative Recherchen umsetzt. CORRECTIV.Lokal ist Teil des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV, das sich durch Spenden finanziert. Mehr unter correctiv.org

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen

Frauen, die von Gewalt betroffen sind, erhalten bei verschiedenen Stellen Hilfe. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist unter der Nummer 08000 116 016 und via Onlineberatung rund um die Uhr erreichbar. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte können sich anonym und kostenfrei beraten lassen. Im Internet können Betroffene über die Adresse www.frauenhaus-suche.de Frauenhäuser in ihrer Region finden. Dort sind Telefonnummern angegeben, an die sich Betroffene wenden können.