Sich strecken, ausbauen, über den Tellerrand hinaus schauen, maximale Flexibilität – all das sind Begriffe, die im Kontext des Fachkräftemangels auf Verwaltungsebene fallen und sie stellen zwei Tatsachen klar: 1. Der öffentliche Dienst und seine Protagonisten kommen an ihre Grenzen. 2. Es findet ein tiefgreifendes Umdenken statt.

Die Digitalisierung erfordert einen intensiven Umformungsprozess

Anton Müller ist Bürgermeister der Gemeinde Dormettingen und Vorsitzender des Gemeindeverwaltungsverbandes Oberes Schlichemtal. Sein ganzes Berufsleben verbringt er schon in der Verwaltung, da er im Jahr 1986 als Förster einstieg. Seit seiner Wahl in den Gemeinderat der Stadt Rosenfeld im Jahr 1986 mischt er außerdem in der Kommunalpolitik mit. Bürgermeister ist er bereits seit über 13 Jahren.
„Den beliebten Spruch, dass früher alles besser war, sehe ich ganz anders!“, erklärt er. „Um das zu sehen, müssen wir uns den Aufgaben stellen und das ein Leben lang.“ Als eine dieser herausfordernden Aufgaben sieht er den Umformungsprozess der Verwaltung hin zur Digitalisierung. Wer darin die Lösung des Fachkräftemangels sieht, sei im Irrglauben. „Es sind riesige Prozesse, die mehr Arbeitskraft, binden als dass sie uns entlasten würden“, stellt Müller klar.

Kommunen ermöglichen maximale Flexibilität

Aktuell suchen zwei Mitgliedsgemeinden des Verbandes jeweils eine neue Arbeitskraft auf Verwaltungsebene, eine davon ist Ratshausen. Dies stellt den frisch gewählten Bürgermeister Tommy Geiger vor eine seiner ersten Herausforderungen.
„Grundsätzlich sind wir für jede Bewerbung offen“, stellt Geiger klar. Das Personal ist rar, die Fachkräfte sind rar und die freien Stellen zahlreich. „Man muss nicht immer eine Ausbildung haben, um gute Arbeit zu leisten“, sagt der Bürgermeister.
Wichtige Kriterien in Hinblick auf fachfremde Mitarbeiter sind gute EDV-Kenntnisse und Arbeitserfahrung im Büro allgemein. „Wir kommen nicht drumherum, maximale Flexibilität im Rahmen der kommunalen Möglichkeiten zu bieten und das wollen wir auch bieten“, eröffnet er. Er wirbt damit, dass Verwaltungsmitarbeiter einer kleinen Gemeinde nicht nur Vorgänge bearbeiten, sondern die Chance haben, aktive Gestalter zu sein und maßgebliche Verbesserungen anregen können.

Rollentausch: Arbeitgeber bewerben sich

Auch der Vorsitzende des Gemeindeverwaltungsverbandes befeuert alle Kanäle, um Mitarbeiter für sich zu gewinnen. So formuliert er: „Wenn jemand im IT- oder Baubereich einen sicheren Arbeitgeber sucht, sind wir sehr interessiert und gestalten die Bewerbung möglichst unbürokratisch. Einfach anrufen lohnt sich, da sind wir ganz flexibel.“
Es zeichnet sich ein verblüffendes Bild ab, das vor wenigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre: Anstelle der Arbeitnehmer sind es jetzt die Arbeitgeber, die sich bewerben. Müller erkennt hierbei eine Wellenbewegung, die sich über die Jahre immer wieder ergebe: Wenn es der Wirtschaft gut geht, dann fordern die Menschen entsprechende attraktive Bezahlung, sobald es der Wirtschaft aber schlechter geht, rückt der öffentliche Dienst und die Sicherheit, die er bietet, wieder in den Vordergrund.

Beschäftigungsumfang wächst

Lediglich zwei offene Stellen bei acht Verbandsgemeinden zeichnet einen guten Schnitt, könnte man meinen. Der Schein trügt. Der Beschäftigungsumfang nimmt tendenziell zu, weshalb sich dauernd neue Stellen ergeben, obwohl immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Die Stellenpläne müssen über die Zeit angepasst werden, weil die Aufgaben mehr werden. Beispielsweise war die Verbandsleitung früher auf eine Person beschränkt, während sie inzwischen auf drei Stellen verteilt ist.
Das Krisenmanagement, wie etwa aufgrund der Corona-Pandemie oder der Flüchtlingshilfe, ist eine Aufgabe der Kommune, die sie überfordert. So schnell, wie sich neue Aufgabenfelder ergeben, so schnell vergehen sie auch wieder – oder werden schlimmstenfalls durch zunehmende Bürokratie überladen.

Migrationshintergrund als Chance

Das ganze Konstrukt des öffentlichen Dienstes wackelt bedrohlich. Den schlimmsten Fall, der eintreffen würde, wenn keine Lösung des Problems Fachkräftemangel gefunden wird, will sich der optimistische Bürgermeister Müller aber nicht vorstellen. „Wir versuchen, alle Wege zu nutzen, die uns zur Verfügung stehen und schauen dabei auch mal über den Tellerrand hinaus“, sagt er.
Von besagtem Rand aus sieht Müller unter anderem Menschen mit Migrationshintergrund als große Chance in Sachen Fachkräftemangel. Im Kindergarten habe die Gemeinde mit rumänischen und kolumbianischen Arbeitskräften sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Mitarbeitenden würden dabei vom Randbereich in die Mitte der Gesellschaft geholt, aber auch die Kommune erfahre eine Bereicherung. Übertragen auf die Verwaltung erkennt Müller: „Wenn wir jemanden engagieren, der einen Bezug in andere Bevölkerungsgruppierungen hat, baut das Hemmschwellen gegenüber der Behörde ab.“

Motivation der Angestellten

Die vier Dormettinger Verwaltungsmitarbeiterinnen jedenfalls stehen als Team zusammen und stärken den öffentlichen Dienst. Als Motivation nennen sie einheitlich die Bürgernähe, tarifliche Zusatzversorgungen, das gute Arbeitsklima, teilweise Home Office und flexible Arbeitszeiten.
„Das Ergebnis unserer Situation wird ein Spiegelbild dessen sein, was die Gesellschaft fordert“, meint Müller und verweist auf den Einfluss, den jeder einzelne hat. Ob der Gesellschaft letztlich gefällt, was ihr reflektiert wird, bleibt eine andere Frage.

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