Es sind unschöne Erinnerungen, die Davina Nolle an die Geburten ihrer drei Kinder hat. Vor allem der Zeitdruck im Kreißsaal ist ihr im Gedächtnis geblieben: Ein Arzt drückte auf ihren Bauch, um die Plazenta schneller zu lösen. „Das waren unfassbare Schmerzen.“ Ein anderer wollte immer wieder wissen: „Brauchen Sie noch lange?“ Eine Frage, die sie als Erstgebärende gar nicht beantworten konnte – und die sie unter Druck setzte.
Heute ist die 41-Jährige aus Schwenningen sicher: „Hätte ich damals das Wissen gehabt, das ich jetzt habe, hätte ich wunderbare Geburten gehabt.“ Das möchte sie nun anderen Frauen ermöglichen. Aus diesem Grund hat sich Nolle als Doula ausbilden lassen. Der Begriff kommt aus dem Griechischen und bedeutet „dienen“ oder „betreuen“. Doulas begleiten Frauen vor, während und nach der Schwangerschaft. In medizinische Belange greifen sie dabei aber nicht ein. Viel mehr geht es darum, die Klientinnen zu informieren, zu ermutigen und ihnen Kraft zu geben. Nolle beschreibt ihre Aufgabe so: „Ich helfe den Frauen, die Geburt so erleben zu können, wie es für sie gut ist.“
Seminare mit verschiedenen Inhalten
Was es dabei zu beachten gilt, hat die 41-Jährige in ihrer Ausbildung beim Verein „Doulas in Deutschland“ gelernt, die sie diesen Januar abgeschlossen hat. In den Seminaren ging es beispielsweise um sogenannte „stille Geburten“, bei denen Kinder tot auf die Welt kommen. „Uns wurde das Werkzeug in die Hand gegeben, dass wir solchen Situationen gewachsen sind.“
Auch Gewalt während der Geburt war ein Thema: dazu zählen unter anderem Interventionen (z.B. Dammschnitt), die ohne Einverständnis der Gebärenden und ohne medizinische Notwendigkeit durchgeführt werden, aber auch verbale Äußerungen wie „Wenn Sie jetzt nicht mitarbeiten, dann stirbt Ihr Baby“. Doulas schulen die Frauen dahingehend – und sind auf Wunsch bei der Geburt dabei, um sie in ihrer Selbstbestimmtheit zu unterstützen.
Das bietet auch Nolle an. Zwei Wochen vor und nach dem errechneten Geburtstermin hat sie Rufbereitschaft, am großen Tag selbst ist sie dann vor Ort: im Krankenhaus oder auch im Haus der Gebärenden. Hinzu kommt Begleitung vor der Geburt, etwa in Form von Massagen oder Babybauch-Bemalen, und im Wochenbett: Die Doula berät die frischen Mütter etwa beim Stillen und hilft, wo sie kann. „Ich passe auch mal auf die Geschwisterkinder auf oder bringe ein Süppchen mit.“
Angebot auch auf dem Land etablieren
Zusätzlich zur Doula-Ausbildung hat Nolle in den letzten Wochen weitere Kurse belegt: Unter anderem darf sie nun Babymassagen unterrichten und Geburtsvorbereitungskurse geben. Die weiteren Standbeine schätzt sie als wichtig ein, um sich in der Region als Doula zu etablieren. „Auf dem Land ist das schwieriger, als in den Ballungszentren.“ Während eine Doula-Begleitung in Städten wie Berlin „hip“ sei, wüssten im ländlichen Raum viele gar nicht, was hinter dem Begriff steckt. In Schwenningen und Umgebung sei sie die einzige Doula, ähnliche Angebote gebe es erst wieder am Bodensee, in Rottweil oder Villingen-Schwenningen. „Und was der Bauer nicht kennt“, sagt die Mutter, lacht und fügt hinzu: „Man muss hier präsent sein.“
Um ihr Angebot zu bewerben, ist Nolle viel unterwegs gewesen in der letzten Zeit, bei Kinderärzten, Beratungsstellen, Krabbelgruppen. Die Resonanz war positiv, erzählt sie. Auch von Müttern liegen ihr schon Anfragen vor. „Das Interesse und der Bedarf ist absolut da.“
Kritik von Hebammen erlebt
Das liege auch am nahe gelegenen Bundeswehr-Standort. Es gebe viele Frauen, die ohne Verwandtschaft hier seien, sich aber eine Begleitung in der Schwangerschaft wünschten. Hinzu komme der Hebammen-Mangel. „Ich kenne Frauen, die keine Hebamme finden, die zu ihnen ins Wochenbett kommt“, berichtet Nolle. Auch die Geburtsvorbereitungskurse seien voll, es gebe zu wenig Plätze.
„Das können wir mit auffangen“, sagt die Doula. Eins ist ihr jedoch wichtig: „Wir ersetzen niemals eine Hebamme und deren medizinische Arbeit bei der Geburt.“ Das stellt auch der Verein Doulas in Deutschland klar. In einem Flyer heißt es: „Eine Doula hat keine medizinische Ausbildung und kann deshalb eine Geburt ohne Hebamme nicht begleiten.“
Dennoch gebe es von der Berufsgruppe viel Gegenwind, erzählt Nolle. Sie hat viele Hebammen aus der Region kontaktiert, um ins Gespräch zu kommen – erfolglos. „Sie sehen nicht, dass wir eine Bereicherung sein können und ihnen nichts wegnehmen möchten“, sagt sie und hofft, dass sich das in der Zukunft noch ändern wird.
Sehen, wie neues Leben entsteht
Für die Schwenningerin stehen jetzt noch ein paar letzte Schritte an, bis es mit der Doula-Tätigkeit so richtig losgehen kann. Auf ihrer Webseite fehlen noch Anmeldeformulare, und sie braucht Räume, um sich eine kleine Praxis aufzubauen. Unterstützt wird die 41-Jährige von ihren Angehörigen: Dazu gehören neben ihren drei leiblichen Kindern auch die drei Kinder, die ihr Ehemann mit in die Familie gebracht hat. Vier Kinder leben bei dem Paar in Schwenningen, zwei sind bereits ausgezogen. Zur Patchwork-Familie gehören außerdem zwei Hunde und ein Hamster. „Da ist immer was los.“
Lange arbeitete Nolle in ihrem erlernten Beruf als Zahnarzthelferin. „Das ging gut parallel zu den Kindern“, sagt sie. Jetzt ist die Jüngste neun Jahre alt, die anderen sind Teenager – und die 41-Jährige kann sich selbst verwirklichen. Schnell war klar: „Wenn ich mich beruflich verändere, will ich definitiv wieder sehr eng mit Menschen zusammenarbeiten.“ Und so begann die Mutter im Oktober 2022 ein Fernstudium in Gesundheitspsychologie und gleichzeitig ihre Doula-Ausbildung.
Als Namen wählte sie „Doula Sonnenwirbel“, ein anderer Begriff für Löwenzahn und die Idee ihres Mannes. „Es entsteht die bildliche Vorstellung, dass der Same weggepustet wird und so neues Leben entsteht“, erklärt Nolle. Neues Leben entstehen sehen, das möchte sie auch als Doula. „Und das soll ein wunderbares Erlebnis sein, ohne Angst und Gewalt. Denn es ist eben nicht egal, wie wir unsere Kinder bekommen.“
Info Zu erreichen ist Doula Davina Nolle per Mail unter [email protected] oder telefonisch unter der Nummer (0176) 10 07 14 01. Mehr Mehr Infos gibt es auf der Webseite www.doula-sonnenwirbel.de. Die Kurse in Babymassage beginnen am 13. April und sind donnerstags von 9.30 bis 10.30 Uhr, Kosten: 75 Euro für fünf Einheiten.
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Der Verein „Doulas in Deutschland“
Der gemeinnützige Verein Doulas in Deutschland e.V. wurde im April 2008 von Melanie Schöne gegründet, die bis heute erste Vorsitzende ist. Ziel des Vereins ist es, dass jede Schwangere eine Doula engagieren kann, wenn sie das möchte. Die Begleitung ist eine reine Privatleistung, Krankenkassen übernehmen sie nicht. Wer sich eine Doula nicht leisten kann, wird über den Verein durch eine ehrenamtliche Doula unterstützt. Das gilt aktuell auch für schwangere Frauen, die aus der Ukraine geflüchtet sind.
Doulas in Deutschland bietet eine Doula-Ausbildung an. Für das Zertifikat „DiD Doula“ gibt es mehrere Voraussetzungen: Pflicht ist laut der Webseite des Vereins unter anderem ein Praktikum in einem Geburtsvorbereitungskurs, das Begleiten von drei Geburtsbegleitungen mit Vor- und Nachtreffen, das Studieren der Pflichtlektüre und das Erstellen einer Netzwerkliste von wichtigen regionalen und überregionalen Beratungs- und Informationsstellen für Eltern.
Auf der Webseite des Vereins kann man durch Eingabe einer Postleitzahl Doulas in der jeweiligen Region finden.