Die Baustellenführung an der Filstalbrücke war schnell ausgebucht. Vielen Interessenten musste schon im Vorfeld abgesagt werden. Aber die Baustellenleitung hat sich inzwischen darauf eingestellt. Stefanie Sauer-Höfer und Otto Krautwasser absolvieren derzeit eine spezielle Schulung und werden ab Oktober als „Guides“ Besuchergruppen an unterschiedlichen Baustellenabschnitten begleiten. Die Gäste beim Sommer der Verführungen kommen aus Eschenbach, Boll, Göppingen – und aus Mühlhausen. Die beiden Einheimischen kennen sich schon aus und gestehen, dass sie über einen Wanderweg „schon mal oben waren und ein bisschen gespickelt haben.“
Bevor es hinauf geht zur spektakulären Baustelle über dem Täle, wo in absehbarer Zeit die Züge mit Tempo 250 aus dem Tunnel herausschießen, müssen sich alle zunächst für den „Einsatz“ wappnen: Erst mit Warnweste, Helm und Leih-Gummi­stiefeln ausgestattet, darf der Kleinbus bestiegen werden, der die Besucher an das Portal des Boßlertunnels bringt. Ein Hauch von Abenteuer weht,  als die Gäste das Terrain betreten dürfen, das ansonsten streng tabu ist für Außenstehende. „Wir beobachten die Fortschritte der Filstalbrücke immer von der Autobahn aus“, erzählt eine Göppingerin. Von Weitem seien die Dimensionen nur schwer auszumachen. „Ich habe zeitweise daran gezweifelt, dass da ein Zug durchpassen soll“, gesteht sie. Direkt vor dem Boßlertunnel tun sich die Dimensionen eindrucksvoll auf: 485 Meter Tal überspannt das Bauwerk in 85 Metern Höhe, wenn es fertig ist.
Philipp Weigele von der Bauüberwachung steht der Besu­chergruppe Rede und Antwort. Die Fragen richten sich an Betoniervorgang, Betonbeschaffenheit,  Bauverfahrenstechnik und vieles mehr. Gut anderthalb Stunden löchern die Ausflügler den Experten mit ihren Fragen. Selbst der Kranführer wird interviewt: Wie lange er denn in seiner Kabine sitzen müsse?, will einer wissen. „Die ganze Schicht lang“, antwortet der Arbeiter knitz.
Die Wege zur Baustelle sind geteert und werden nach Fertigstellung der Brücke als Rettungszufahrt dienen. Die große Tunnelbohrmaschine, die von den Arbeitern liebevoll „Käthchen“ genannt wird, hat im Boßlertunnel über 8,8 Kilometer Strecke gute Arbeit geleistet. In nur 17 Monaten hat sie sich von Aichelberg aus durch den Berg gebohrt, bis man über dem Filstal wieder ans Tageslicht kam. Der zweite Tunnel für die Fahrtrichtung Ulm, der derzeit parallel zur ersten Röhre gebohrt wird, ist schon bei 3600 Metern Wegstrecke im Berg angelangt. Die Fachleute hoffen, dass diese Bohrung wesentlich schneller vorangeht, weil man auf die Erfahrungen im ersten Tunnel zurückgreifen kann.
Die Besucher verdauen noch die Fülle der Informationen, als sich plötzlich vor ihren Augen das „Garagentor“ des Boßlertunnels öffnet  und ein Fahrzeug herauskommt. „Das kommt entweder von Aichelberg oder vom Ummental, dem Seiteneinstieg des Tunnels“, flüstert ein Besucher. Philipp Weigele gibt indessen ein Zeichen und so bleibt das Tor offen, damit die Gäste einen Blick hineinwerfen können in die lange Röhre. Leider macht sie schon nach kurzer Strecke eine Kurve. Trotzdem werden schnell Handys und Kameras gezückt, um den Anblick festzuhalten. „So eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder“, meint einer. Zunächst zögerlich, dann immer zielstrebiger wagen sich sogar einige hinein in den riesigen Schlund. Die Dame aus Göppingen blickte ehrfürchtig um sich. Jetzt glaubt sie, dass hier ein Zug genügend Platz hat.
Nach eineinhalb Stunden geht es wieder zurück zum Rathaus in Mühlhausen. Am eigens aufgestellten Info-Container der Bahn wird die Baustellen-Ausrüstung abgegeben und im Gegenzug eine ganze Tüte gefüllt mit Info-Material der Bahn mitgenommen.