„Ich bitte nur noch um Hilfe.“ Der Angeklagte nutzte das letzte Wort vor der Urteilsverkündung, das ihm der Vorsitzende Richter Hannes Breucker am Freitag im Landgericht Hechingen einräumte, um seine Reue zu zeigen. Doch genau diese Reue beziehungsweise die Einsicht seiner Pädophilie als Krankheit war der entscheidende Punkt in diesem Prozess. „Es ist ein Ansatz der Krankheitseinsicht erkennbar. Das war es aber auch schon“, sagte Staatsanwältin Denise Merkle in ihrem Plädoyer.
Der 45-Jährige aus Albstadt hatte von Prozessbeginn an gestanden, hunderte Videos und Bilder mit sexuellen Darstellungen Minderjähriger besessen und verschickt zu haben (wir berichteten). Auch seine damals fünfjährige Tochter ist Opfer seiner pädophilen Neigungen geworden. Über eine Chatplattform hat er zudem Minderjährige aufgefordert, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen.
Reicht eine Bewährungsstrafe?
Richter Breucker sprach von einem „extrem komplizierten Fall. Die Pädophilie an sich ist keine Krankheit, die rechtlich Wegsperren erlaubt.“ Von Sicherheitsverwahrung sei man rechtlich weit entfernt. Ein Urteil müsse beiden Aspekten gerecht werden: dem Schutz der Allgemeinheit und einer realistischen Chance auf Wiedereingliederung des Angeklagten. Wie kann man die Therapie des Geständigen mit einer Haft vereinbaren? Oder genügt eine Freiheitsstrafe auf Bewährung? „Eine Patentlösung für diesen Fall gibt es nicht.“
Staatsanwältin Merkle sah das anders. Zwar sieht auch sie viele Aspekte, die für den Angeklagten sprechen. Mit seinem Geständnis habe er der Tochter – die sich nicht an den Vorfall erinnern kann oder diesen verdrängt hat – eine Aussage vor Gericht erspart. Zudem habe keine Fremdberührung durch den Beschuldigten stattgefunden und dieser sei mit dem Kontaktverbot zu seiner Familie einverstanden. „Das rechne ich Ihnen hoch an, denn trotz allem glaube ich, dass Sie Ihre Tochter lieben“, sagte Denise Merkle.
„Der Angeklagte ist krank, pädophil und unbehandelt“
Doch es bleiben die Taten. Unter den Bildern und Videos seien auch Dateien, die Vergewaltigungsszenen zeigen würden. Zudem hinterfragt die Staatsanwältin, wie sehr sich der Angeklagte wirklich bereits mit seiner Krankheit auseinandergesetzt hat. Ebenso kritisch sei, dass eine erste Wohnungsdurchsuchung keine ausreichende Warnung war. „Der Angeklagte ist krank, pädophil und unbehandelt. Von ihm geht eine massive Gefahr aus.“ Der Albstädter habe keine Alltags- und Vermeidungsstrategien. „Die Rückfallgefahr ist exorbitant hoch.“ Die Staatsanwältin forderte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten – eine Strafaussetzung auf Bewährung komme nicht infrage.
Verteidiger: Müssen ihm helfen
Die Vertreterin der Nebenklage stimmte Merkle zu. Dass sich der Mann kinderpornografische Bilder angeschaut habe, wenn ihm langweilig oder er gestresst gewesen wäre, sei ein Warnsignal. In einer Haft könne sich der Angeklagte mit seiner Neigung auseinandersetzen und Alternativen erarbeiten.
Verteidiger Fritz Westphal pochte auf die psychologische Unterstützung für seinen Mandanten. „Er war selbst erschrocken über das Ausmaß und hat von sich aus angeregt, dass man ihm hilft. Das ist für eine Therapie eine ganz andere Ausgangssituation als in den meisten Fällen.“ Westphal haben den klaren Eindruck, dass es dem 45-Jährigen, der laut eigener Aussage als Jugendlicher selbst über Jahre von Mitschülern sexuell missbraucht wurde, ernst sei mit der Therapie seiner pädophilen Neigung. Er habe diese als Fehler erkannt und möchte diesen beheben. „Wenn das Gericht dem Angeklagten mit einer Bewährungsstrafe – verbunden mit strengen Auflagen – helfen kann, dann sollten wir ihm helfen“.
Urteil: Zwei Jahre und drei Monate ohne Bewährung
Genau dies hätte das Schöffengericht um Richter Hannes Breucker gerne getan. „Wären die Entlassungsvoraussetzung optimal gewesen, Sie also sofort mit einer Therapie beginnen hätten können, hätten wir die Strafe auf Bewährung ausgesetzt. Doch nicht einmal Ihr Verteidiger als Experte konnte in der Kürze der Zeit einen Therapieplatz ermöglichen.“ Als Privatperson wäre der Verurteilte folglich mit der Organisation der Therapie überfordert gewesen: Die Große Strafkammer verurteilte den 45-jährigen Albstädter zu einer Haft von zwei Jahren und drei Monaten.
Diese Vorlaufzeit in der Haft soll der Mann nutzen, „um uns zu beweisen, dass sie therapiewillig sind. Dann sehen wir Sie auf einem guten Weg“, so Richter Breucker. Lässt der Albstädter seinen Worten nun Taten folgen, stünden die Chancen auf eine vorzeitige Entlassung sehr gut. Weil alle Prozessbeteiligten auf Rechtsmittel verzichten, ist das Urteil rechtskräftig.
Tochter und Ehefrau haben Kontakt abgebrochen
Bevor die Beweisaufnahme geschlossen wurde, berichtete eine Vertreterin des Kreisjugendamts von ihrem Besuch bei der Familie des Angeklagten. Die Tochter habe einen sehr kindlichen Eindruck gemacht, die Jugendliche sei ruhig und verschüchtert gewesen. Auf den Vorfall mit ihrem Vater möchte sie am liebsten nicht angesprochen werden – ob sie sich nicht mehr erinnern könne oder den Vorfall verdrängt hat, könne man nicht beurteilen. „Sie sagt nur: Papa hat Scheiße gebaut.“ Tochter und Ehefrau möchten nichts mehr mit dem 45-jährigen Albstädter zu tun haben. Der Scheidungsantrag ist eingereicht und die Mutter hat das alleinige Sorgerecht. mwi