Sie sind ein Alleinstellungsmerkmal der Stadt: 16 Naturschutzgebiete sind in Albstadt ausgewiesen – „eine bemerkenswerte Zahl“, wie Christian Kühn betont. Doch dort, wo Natur schön ist, zieht es auch Menschen hin. „Tourismus und Naturschutz befinden sich in einem besonderen Spannungsverhältnis, müssen sich aber nicht zwangsläufig widersprechen“, erklärte der Grünen-Politiker und Parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium.
Kühn kam auf Einladung des Oberbürgermeisterkandidaten Markus Ringle nach Albstadt. In Josis Klause in Ebingen stellte sich der Tübinger den Fragen von etwa einem Dutzend Naturschützern, der Nabu war am Mittwochnachmittag stark vertreten. Eine wichtige Frage: Wie gelingt sanfter Tourismus? „Die Natur ist ein wichtiges Instrument für die Attraktivität unserer Stadt“, sagte Markus Ringle eingangs.
„Doch die Gebiete heißen nicht ohne Grund ‚Naturschutzgebiete‘ – sie sind ein wichtiger Rückzugsort für Flora und Fauna.“ Wie also dem boomenden Urlaub in der Heimat gerecht werden, zumal „der Tourismus in Albstadt eher noch ein zartes Pflänzchen ist, das sich entwickeln muss“, so der Oberbürgermeisterkandidat, der für die Grünen-Fraktion im Gemeinderat sitzt.
Viele Arten sind gefährdet
Christian Kühn, der als Kind in Albstadt gewohnt hat (siehe Info-Kasten), kennt diesen Zwiespalt. Die Natur stehe ohnehin unter gewaltigem Druck. Vom einstigen Ziel, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, müsse man sich verabschieden – mit gravierenden Folgen: Statt sechs Prozent aller Insektenarten werden durch den Klimawandel 18 Prozent der Arten gefährdet, bei den Pflanzen verdoppeln sich die gefährdeten Arten (16 Prozent) ebenso wie bei den Wirbeltieren (acht Prozent). „Die Lebensräume verändern sich dramatisch. Das müssen wir in den Griff bekommen.“
Um Klimaziele zu erreichen, seien die Kommunen entscheidend, erklärte der Bundestagsabgeordnete. „Wir können in Berlin noch so tolle Programme aufsetzen: Wenn die Kommunen diese nicht umsetzen, erreichen wir nichts.“ Umso entscheidender – so warb der Grüne für den Grünen – seien kommunale Verwaltungsspitzen, die „die Bedeutung von Naturschutz erkennen und verstärken“.
Schutz wird oft vernachlässigt
Doch auf kommunaler Ebene gibt es ebenso Schwierigkeiten wie in der Bundespolitik. Das wurde in der Diskussion deutlich. Für Ulrich Kohaupt hat der Naturschutz zu oft das Nachsehen, sobald andere Projekte anstehen. Beispiel Neubau Zentralklinikum: „Die anvisierte Fläche grenzt an ein Vogelschutzgebiet, doch dann heißt es seitens der Behörden, dass nur eine kleine Fläche betroffen sei. In solchen Genehmigungsverfahren haben Schutzzonen wenig Wert. Keine Baumaßnahme wird durch die bestehenden Schutzregeln verhindert.“ Da helfe auch ein fragwürdiger „Ablasshandel“ nichts, bei dem Ökopunkte und Ausgleichsmaßnahmen gegen Versiegelung getauscht werden.
Auf der einen Seite also Bürokratie, die nach Lust und Laune ausgeübt wird. Auf der anderen Seite strenge Richtlinien, die Sinnvolles verhindern. Für Landwirte wäre es reizvoll, neben dem Betrieb noch Stellplätze für Campingurlauber anbieten zu können. Wie kann ein Konzept des Camping-Tourismus konkret in der Praxis aussehen, wollte Martin Kistermann von Kühn wissen. Der Politiker aus Berlin blieb einer konkreten Antwort eher schuldig. „Es bedarf einer Konzeptentwicklung, in der auch geregelt wird, wie man Landwirte partizipieren lassen kann. Eine Gesamtkonzeption ist entscheidend, nicht nur für den Zollernalbkreis, sondern für die gesamte Region Neckar-Alb.“
Verwaltung als Dienstleister
Einig waren sich die Anwesenden darin, dass Verwaltung den Dienstleistungscharakter in den Vordergrund stellen muss. „Aber sobald man etwas plant, kommt jemand von der Verwaltung mit dem Gesetzbuch unterm Arm daher“, sagte Jürgen Roth. Statt Privatleuten mehr zu ermöglichen, werde in Bauverordnung und Co. nach Paragrafen gesucht, die dagegen sprechen.
Eine klare Botschaft der Anwesenden beim Besuch von Christian Kühn in Ebingen: der ÖPNV in Albstadt muss ausgebaut werden. Denn ein sanfter, also umweltschonender Tourismus in der eigenen Region, sei umso wertvoller, wenn auch die Anreise ohne Auto gelingt. „Der zukünftige Tourist weiß, dass er seinen größten CO2-Fußabdruck in der Mobilität hinterlässt“, sagte Christian Kühn.
Eltern hatten einen Gastro-Betrieb in Tailfingen
Christian Kühn wurde in Tübingen geboren, aufgewachsen ist der Bundestagsabgeordnete in Tailfingen. „Meine Eltern hatten einen Gastronomiebetrieb und Anfang der 1980er-Jahre war hier natürlich noch die Textilindustrie sehr stark.“
Der 43-jährige Kühn ist seit 2013 Mitglied im Bundestag (Wahlkreis Tübingen) für Bündnis 90/Die Grünen und seit Dezember 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.