Der Angeklagte weint, als die Kinderstimme durch den Gerichtssaal schallt. Zu hören ist seine Tochter, zum Zeitpunkt der Aufnahme fünf Jahre alt. Das Video zeigt sexuellen Missbrauch. Aufgenommen hat es der heute 45-Jährige selbst, vor etwa sieben Jahren. Nun sitzt er deswegen auf der Anklagebank im Hechinger Landgericht.
Dass die Vorwürfe stimmen, er das Video aufgenommen hat, gesteht der Mann am Dienstagmorgen – ebenso wie die anderen Taten, die ihm die Staatsanwaltschaft zur Last legt: Der Albstädter hat Hunderte sogenannte kinder- und jugendpornografische Bilder besessen und verschickt. Außerdem hat er immer wieder minderjährige Nutzerinnen und Nutzer auf der Chat-Plattform „Knuddels“ angeschrieben und dazu aufgefordert, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen. Fast eine halbe Stunde dauert die Verlesung aller 14 Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft.
In der Schulzeit selbst sexuell missbraucht worden
Wie es zu den Taten kommen konnte, könne sein Mandant sich nicht erklären, sagt der Verteidiger des Angeklagten, Anwalt Fritz Westphal. Den „Vorgang“ hinsichtlich seiner Tochter habe der 45-Jährige verdrängt und sich nur anhand des Videos daran zurückerinnert. „Die Aufarbeitung belastet ihn enorm.“ Schon vor der Haft habe er sich um psychologische Unterstützung bemüht, aber keine erhalten. Westphal: „Er bittet um Hilfe.“
Auch der Angeklagte selbst sagt: „Die Frage, warum ich das gemacht habe, zerfrisst mich innerlich.“ In roter Jogginghose und rotem Oberteil, mit Brille und Halbglatze, sitzt er neben seinem Anwalt und berichtet in undeutlicher Aussprache aus seinem Leben: Er sei ab der fünften Klasse auf eine Schule für Lernhilfe gegangen, weil er mit dem Stoff in der regulären Schule nicht hinterhergekommen sei. Dort sei er von Mitschülern sexuell missbraucht worden – ab dem Alter von zehn Jahren eigener Aussage nach wöchentlich, über Jahre hinweg. Ob er das gut verarbeitet habe, fragt der Vorsitzende Richter Hannes Breucker. „Bis ich die Scheiße gebaut habe, dachte ich das, aber jetzt eher weniger“, antwortet der Angeklagte darauf.
Bilder und Videos in Chats bekommen
Sexuelles Interesse an Kindern habe er erstmals im Jahr 2003 verspürt – in dem Jahr, in dem er seine spätere Frau kennenlernte, die auch Mutter der betroffenen Tochter ist. Entsprechende Bilder und Videos seien ihm über Chatprogramme zugespielt worden, er selbst habe nie Dateien im sogenannten „Darknet“ – dem versteckten Teil des Internets – heruntergeladen. „Ich habe die Bilder angeschaut und im gleichen Moment gedacht: Was machst du da schon wieder?“, schildert der Vater einer Tochter sein Verhalten im Rückblick.
Erwischt wurde er im vergangenen Jahr. Wie ein Ermittler als Zeuge vor Gericht berichtet, bekam die Polizei im Januar 2022 einen Hinweis vom „National Center for Missing and Exploited Children“, einer US-amerikanischen Organisation, die Social-Media-Plattformen überprüft und mögliche Fälle von Kinderpornografie an das Bundeskriminalamt (BKA) meldet.
Bei dem Hinweis ging es um ein Video, das der Angeklagte auf Instagram verschickt hatte. Es zeigte „zweifelsfrei kinderpornografischen Inhalt“, sagt der Zeuge. Über den Account habe man den 45-Jährigen ausmachen und im März 2022 das Haus der Familie in Albstadt durchsuchen können. Zu einer sofortigen Festnahme kam es allerdings nicht: Der Mann erschien im April 2022 freiwillig bei der Polizei, um mehrere Taten einzuräumen.
In psychiatrische Klinik gebracht
Eine „nicht alltägliche“ Situation, sagt der Zeuge: „Bei solchen Delikten ist es eher ungewöhnlich, dass es ein Geständnis gibt.“ Den Mann habe er als weinerlich und gleichzeitig als aggressiv gegen sich selbst erlebt. „Das war wie ein Tanz auf einem Vulkan, der ausbrechen kann.“ Der 45-Jährige habe gesagt, dass er Hilfe benötige. Man habe beschlossen, ihn in eine psychiatrische Klinik bringen zu lassen. Dort verbrachte er eine Woche.
Alles gestanden habe der 45-Jährige bei dem Gespräch im April aber nicht. „Es war auffällig, dass er nur bestätigt hat, was bei der Durchsuchung sowieso schon aufgefunden worden war“, sagt der Zeuge. Auch das Missbrauchsvideo von seiner Tochter kam erst später zur Sprache. Wie ein weiterer Polizeibeamter berichtet, räumte der Angeklagte die Herstellung nach einer Konfrontation ein. „Er hat gesagt, er hat Scheiße gebaut.“
Ende März geht Prozess weiter
Momentan sitzt der Mann in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Villingen-Schwenningen ein. Dort wurde er auch psychiatrisch begutachtet – in diesem Gespräch erzählte er wohl erstmals vom angeblichen eigenen Missbrauch in der Schulzeit. Der Gutachter, dem er sich anvertraute, nimmt ebenfalls am Prozess in Hechingen teil und wird beim nächsten Termin, am 31. März, seine Eindrücke schildern.
Für diesen Tag sind auch die Plädoyers und das Urteil eingeplant, wie Richter Breucker mitteilt. Die Tochter des Angeklagten, die sich dem Prozess als Nebenklägerin angeschlossen hat, wird wohl nicht in der Verhandlung erscheinen. „Sie wollte auf keinen Fall aussagen“, sagt ihre Anwältin, die sie vor Gericht vertritt.
Was bedeutet „sexueller Kindesmissbrauch“?
Unter den Begriff fällt jede sexuelle Handlung, die an oder vor Kindern und Jugendlichen gegen deren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können. Bei unter 14-Jährigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie sexuellen Handlungen nicht zustimmen können.
Die Handlungen, die als sexueller Missbrauch bezeichnet werden, weisen eine große Bandbreite auf. Es gibt sexuelle Handlungen am Körper des Kindes (z.B. Zungenküsse), schwere Formen sexuellen Missbrauchs (wie Penetration), aber auch Fälle, bei denen der Körper des Kindes nicht berührt wird (z.B. Aufforderung, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen oder Masturbieren vor dem Kind).
Sexueller Missbrauch wird nach § 176 StGB mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bestraft.
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