Es war ihr erster Einsatz überhaupt für die Albstädter Feuerwehr. Bei einem schweren Verkehrsunfall verletzten sich vier Personen, das Auto prallte frontal auf eine Mauerecke und von dieser in die gegenüberliegende Leitplanke. Den im Fahrzeug eingeklemmten Beifahrer hatte es am heftigsten getroffen. Sabrina Scheeren wollte zu ihm hin, doch ihr Vater – damals Gruppenführer – schickte sie weg. „Er hat gesehen, wie schlimm es um den Mann stand“, erzählt Scheeren. Für die heute 24-Jährige war klar: Junge Leute müssen solche Schockbilder nicht sehen, wenn es sich vermeiden lässt. Und lässt es sich nicht vermeiden, müssen die Einsatzkräfte die angemessene psychologische Betreuung erfahren.
Viele haben Skepsis, Beratung zu suchen
Vor wenigen Wochen hat die Onstmettingerin erfolgreich den Lehrgang „Feuerwehr Peer – psychosozialer Ansprechpartner der Feuerwehr“ an der Landesfeuerwehrschule Baden-Württemberg absolviert. Der ausgebildeten Notfallsanitäterin des DRK Sigmaringen ist wichtig, dass die Männer und Frauen der Feuerwehr Albstadt mit möglichen Traumata nicht alleine sind. Zwar werden die größtenteils männlichen Kameraden sensibler für das Thema psychosoziale Notfallversorgung (PSNV), doch „nicht in jeder Abteilung wird offen über die Belastung gesprochen“, sagt Scheeren: „Oft gibt es noch die Einstellung, dass man solche Situationen eben durchstehen muss.“ Alleine, ohne Hilfe.
Das ist ein Problem. Der Anblick von Toten, die eigene Gefahr, Schwierigkeiten beim Einsatz oder – was im ländlichen Raum durchaus vorkommen kann – die Rettung oder Bergung von bekannten Personen: Es gibt viele Gründe, sich Hilfe zu holen.
Selbst eine belastende Situation erlebt
Scheeren selbst hat das auch erlebt. Bei einem Einsatz wurde ein Verletzter reanimiert, doch irgendwann musste der Notarzt die Reanimation einstellen. „Als diese Entscheidung getroffen wurde, war ich nicht beim Verletzten“, sagt Scheeren. „Es war die richtige Entscheidung, aber weil ich sie nicht direkt miterlebt hatte, ist mir das extrem nachgegangen.“ Über mehrere Tage hatte die ehrenamtliche Feuerwehrfrau keinen Hunger, träumte schlecht und war unruhig. „Es hat vier Tage gedauert, bis ich mir bewusst geworden bin, dass diese Situation an meinen Gefühlen schuld war.“
Als „Feuerwehr-Peer“ ist Scheeren nun selbst darin geschult, die vielfältigen Anzeichen zu erkennen. Wird eine Kameradin oder ein Kamerad nach dem Einsatz auffallend ruhig? Oder räumt hastig Geräte und Materialien in das Einsatzfahrzeug und wieder hinaus? „Es können ganz unterschiedliche Symptome auftreten. Wichtig ist, dass man sich dafür nicht schämt – solche Symptome sind eine Reaktion auf das Ereignis“, sagt Scheeren. Jeder habe individuelle Kapazitäten.
Wie viel Stress kann man noch aushalten? Wann ist Schluss? Dieses Level sollte möglichst niedrig gehalten werden, beispielsweise über einen Ausgleich: Schwimmen, Lesen, Radfahren – „Hauptsache, es tut einem gut.“
Man spürt, nicht alleine zu sein
Ein wichtiges Gebot der PSNV: über die Vorfälle sprechen. In vielen Abteilungen ist es üblich, dass sich die Gruppe nach einem Einsatz zusammensetzt. Bricht einer das Eis, merken alle, dass es ihnen ähnlich geht. „Wenn die Feuerwehrleute über die Ereignisse reden, spüren sie, dass sie nicht alleine sind“, sagt Scheeren. Es hilft, die inneren Bilder vom Einsatz in Worte zu packen, sie nicht in sich hineinzufressen. Auch dafür ist Scheeren da: als „Feuerwehr-Peer“ ist sie nicht nur selbst Ansprechperson für Betroffene, sondern sensibilisiert die Abteilungen für den Umgang mit PSNV. „Oft erkennen nahestehende Freunde und Kameraden schneller, dass jemandem ein Einsatz nahe ging.“ Allen bewusst zu machen, dass es ein entsprechendes Betreuungsangebot nun auch für Albstadt gibt, ist eine der Hauptaufgaben in den kommenden Wochen für Scheeren.
Bisher lief die Notfallversorgung über den Feuerwehr-Pfarrer, doch dieses Angebot wird nicht oft genutzt. Der Vorteil an „Peer“-Ansprechpersonen: sie sind wie Sabrina Scheeren selbst in der Feuerwehr aktiv, kennen die Herausforderungen und Gefahren des Jobs. „Man vertraut sich eher jemandem an, der den gleichen Stallgeruch hat“, sagt Sabrina Scheeren.
Für alle Abteilungen Hilfe bei Stress
Sabrina Scheeren ist für alle Abteilungen der Albstädter Feuerwehr „Peer“-Ansprechperson und hilft bei der psychosozialen Notfallversorgung. Das Angebot ist anonym. Ob direkt nach einem Einsatz oder Wochen später, Scheeren hilft und berät bei posttraumatischem Stress. Die 24-jährige Onstmettingerin vermittelt bei Bedarf auch an weitere Hilfestellen wie die DRK-Einsatznachsorge.