Ein Jahr ist es her, dass Russlands Präsident Wladimir Putin seine Truppen in die Ukraine einmarschieren ließ. Es war der Beginn eines immer noch andauernden Krieges, der mindestens 8000 Zivilisten das Leben kostete. Fast 19 Millionen Menschen sind aus Angst vor den Bomben aus ihrer Heimat geflüchtet – auf der Suche nach Schutz, aber nicht wissend, wie es für sie weitergeht.
Auch im Zollernalbkreis sind in den vergangenen Monaten tausende Ukrainer angekommen. 2482 Menschen waren es seit Kriegsbeginn, darunter viele Kinder (608) und Frauen (1237). Die Mehrheit der Asylsuchenden (2072) ist im Landkreis geblieben, das sagt das Landratsamt auf Nachfrage unserer Zeitung.
Einzigartige Einrichtung im Land
Erste Anlaufstelle ist für die meisten Kriegsflüchtlinge das Ankunftszentrum (AZ) in Meßstetten. Die Stadt Meßstetten und der Landkreis beschlossen Anfang 2022 auf dem Gelände der ehemaligen Zollernalb-Kaserne vorübergehend ein AZ für ukrainische Kriegsflüchtlinge aufzubauen – und das innerhalb von nur zehn Tagen. „Das Ankunftszentrum ist eine Einrichtung, die in dieser Form im Land Baden-Württemberg einzigartig ist, nämlich eine Kooperation zwischen Land und Landkreis, in der verschiedene Unterbringungsformen zusammengefasst sind“, sagt Marco Rigano vom Regierungspräsidium Reutlingen. Gemeinsam mit Harry Maisner ist er dort Verwaltungsleiter. „Wir betreiben als Land die Erstaufnahme und der Landkreis hat die vorläufige Unterbringung“, erklärt er weiter.
402 Geflüchtete sind dort aktuell untergebracht (Stand: 23. Februar, Vormittag) – 132 in der Erstaufnahme des Landes und 270 in der vorläufigen Unterbringung des Landkreises. Zwei bis drei Wochen bleiben die Ukrainer in der Regel in der Erstaufnahme, ehe sie vom Land für die nächsten sechs Monate weiter in die Landkreise zur vorläufigen Unterbringung verteilt werden. Bleiben sie im Zollernalbkreis, wechseln sie lediglich das Gebäude. Das hat einen entscheidenden Vorteil, sagt Verwaltungsleiter Maisner: „Der Flüchtling kennt die Infrastruktur, er kennt Meßstetten, er kennt die Umgebung, er ist angekommen.“ Dennoch fordere der Umzug eine gewisse Eigenständigkeit, denn fortan muss sich der Bewohner des Landkreises um seine Integration kümmern. Unterstützung erfährt er dabei von Helferinnen und Helfern im AZ. „Wir versuchen die Integration voranzutreiben, das heißt wir suchen nach Schulplätzen, Wohnungen, Vereinssport und wir helfen bei behördlichen Gängen. Wir unterstützen aber auch bei Alltagsfragen, bei Problemen zwischenmenschlicher Natur, bei Traumata“, so Maisner.
Sprachkurse als Schlüssel zur Arbeit
Ein wichtiges Angebot stellen die Sprachkurse dar. Mehrmals in der Woche nutzen die Bewohner des AZ die Möglichkeit, mithilfe eines Kurses ihr Niveau zu verbessern, sagt Maisner: „Der Schlüssel zur Arbeit ist die Sprache. In diesem Bewusstsein sind die Ukrainer auch motiviert, weil sie realistisch genug sind, dass es hier länger dauern kann.“ Wo Deutsch noch nicht gut genug ist, helfen Dolmetscher oder Übersetzungs-Apps.
Nutzen kann das Ankunftszentrum bei seinen Tätigkeiten die bereits erprobten Strukturen aus der Flüchtlingskrise 2015. „Auf dem Gelände hat sich nicht viel verändert und wir konnten auf all das Wissen zurückgreifen“, sagt Rigano. „Verändert hat sich allerdings, dass wir uns in den Arbeitsabläufen immer überprüfen und uns anpassen, wenn Bedarf dafür ist.“
Ukrainer mit Wunsch zurückzukehren
Rückmeldung erfahren die helfenden Hände im AZ vor allem in Form von Dankbarkeit. „Die Kriegsflüchtlinge wissen es zu schätzen, dass sie hier den Schutz bekommen, den sie suchen“, sagt Maisner. Entsprechend harmonisch laufe das Zusammenleben ab. Zwar gebe es auch mal Konflikte, das seien aber keine, die sich nicht vor Ort lösen ließen. Denn auch den Ukrainern ist an einem guten Zusammenleben gelegen, schließlich wissen sie nicht, wann oder ob sie überhaupt nach Hause zurückkehren können. „Bei Vielen ist der Wunsch schon da, wieder in die Heimat zurückzukehren. Allerdings sind sie auch realistisch“, sagt Rigano. Gleiches gilt auch für das Landratsamt und die Stadt Meßstetten, was das AZ betrifft. Denn die Zukunft ist offen: „Ein Weiterbetrieb hängt maßgeblich von den Zugangszahlen der Geflüchteten aus der Ukraine ab. Niemand weiß, wie es mit dem Krieg weitergeht. Momentan ist nicht absehbar, wann er endet“, Rigano weiter.
Und so geht das Leben auf dem ehemaligen Bundeswehrgelände weiter. In Gedanken sind die Bewohner aber, nicht nur am Jahrestag am Freitag, bei Familienangehörigen, Kriegsopfern und allen, die für den Frieden in ihrem Land kämpfen.
Eine eigene Wohnung und Arbeit
Vitalii Kriazev ist seit einem halben Jahr in Deutschland. Ganz alleine, ohne Familienangehörige, kam er aus einer Stadt rund 400 Kilometer südlich von Kiew in den Zollernalbkreis. Es ist nicht das erste Mal, dass Kriazev in Deutschland ist. Bereits vor 40 Jahren war er für fünf Jahre hier und kann deshalb ein wenig Deutsch. „Mir gefällt es hier sehr“, sagt er.
Aktuell teilt sich Kriazev im Ankunftszentrum ein Zimmer mit zwei weiteren Bewohnern. Doch das soll sich bald ändern. „Ich möchte gerne als Busfahrer arbeiten“, sagt er. Dafür hat er bereits Bewerbungen an Busunternehmen verschickt und besucht seit drei Monaten einen Sprachkurs. Zwar gefällt ihm das Leben im Ankunftszentrum, langfristig möchte er aber in eine eigene Wohnung, um unabhängiger zu sein.
Schlagwörter
Wladimir Putin