Maultaschen zugunsten des evangelischen Gemeindehaus zu essen, hat in Wittlingen Tradition. Einst eingeführt, um Geld für den Neubau des Gebäudes zu sammeln, ist das gemeinsame Mittagessen längst zur festen Institution im Leben der Dorfgemeinschaft geworden. Selbstredend stand es auch zur Jubiläumsfeier am Sonntag auf dem Programm: Vor zehn Jahren konnten die Wittlinger ihr neu errichtetes Gemeindehaus nach eineinhalbjähriger Bauzeit einweihen. Passend zum runden Geburtstag hat die Kirchengemeinde nun auch ihre letzten Schulden getilgt, sagt Pfarrer Jörg Sautter.
Wie erhofft, hat sich das Gebäude im vergangenen Jahrzehnt zum lebendigen Ort des Gemeindelebens entwickelt. Gruppen, Kreise, Konfirmanden, sie alle finden hier eine Heimstatt. Auch Privatleute mieten das Haus gerne an, berichtet Pfarrer Sautter. Die Räume haben inzwischen manche Tauf- oder Geburtstagsfeier gesehen.
Lange haben die Wittlinger Protestanten auf dieses moderne Domizil mit großem Garten warten müssen. Immerhin entstand schon Mitte der 1950er Jahre die Idee, zusätzliche Räume für die Gemeindearbeit zu schaffen. Doch das Geld fehlte seinerzeit, weswegen das Projekt ruhte, aber nie in Vergessenheit geriet. Um den nötigen finanziellen Grundstock für den Neubau zu sammeln, entwickelten die Wittlinger große Kreativität. Es gab Basare, Kaffeenachmittage, Gemeindefeste und eben das jährliche Maultaschenessen. Von dieser Aktion erfuhr auch der Laichinger Alfred Ufrecht bei der Lektüre unserer Zeitung. Das ist eine tolle Idee, fand er und machte sich deshalb mit seiner Tochter Gerda Schwenkedel auf den Weg in den Bad Uracher Stadtteil. Seit jenem Sonntag vor 19 Jahren sind die beiden immer dabei, wenn Küchenchef Wolfgang Rueß und sein Team Maultaschen servieren. Auf der Rückfahrt nehmen Vater und Tochter zudem immer um die 100 Maultaschen mit, die sie dann zur Freude ihrer Gäste bei Geburtstags- oder Familienfeiern servieren. „Unser Auto ist vollgepackt mit Kühltaschen, auch einen Siko haben wir dabei“, erzählt Gerda Schwenkedel lachend. „Damals“, erinnert sie sich, „haben wir niemanden im Ort gekannt.“ Zwischenzeitlich gibt es freundschaftliche Bande mit manchem Wittlinger Bürger.
Insgesamt 800 Maultaschen, auch vegetarische, warteten während der Jubiläumsfeier auf hungrige Gäste. Serviert in würziger Fleischbrühe mit Kartoffelsalat ein echter Genuss, fanden die zahlreich erschienen Mittagsgäste. Für den süßen Zahn gab es am Nachmittag noch selbst gebackene Kuchen. Begonnen hatte der Jubiläumssonntag mit einem Festgottesdienst, gehalten vom früheren Wittlinger Pfarrer Siegbert Ammann, in dessen Amtszeit der Neubau fiel. Rund 555 000 Euro hat das Gemeindehaus einst gekostet, etwa 37 000 Euro erbrachten die Wittlinger über Eigenleistungen. Unterm Strich, so ist der Festschrift zur Eröffnung des Gemeindehauses zu entnehmen, kamen 3000 ehrenamtliche Arbeitsstunden zusammen. Abzüglich dieser Summe sowie weiterer Zuschüsse, unter anderen von der Stadt Bad Urach und aus kirchlichen Fördertöpfen, blieb für die Kirchengemeinde ein Betrag von 275 000 Euro zu finanzieren. Zu Baubeginn hatte die Gemeinde bereits gut zwei Drittel der Summe auf der hohen Kante. Für die verbleibenden 43 000 Euro wurde ein Kredit aufgenommen.