Die Abschlussbilanz der Bahn zur S-Bahn-Störung am Dienstag liest sich wie die Liste eines einziges Negativrekords: Nachdem am frühen Morgen eine Oberleitung auf der Stammstrecke zwischen den Stationen Stuttgart-Universität und Stuttgart-Schwabstraße gerissen war, herrschten im S-Bahn-Netz mit seinen sechs Linien alsbald chaotische Zustände. 168 Züge fielen ganz, 160 auf Teilstrecken aus und 99 Züge kamen im Schnitt 18 Minuten zu spät, was in der Summe eine Verspätung von 1853 Minuten machte. Obwohl der Schaden gegen 14 Uhr vollständig behoben war, fuhren alle Bahnen bis zum Betriebsschluss nur im Halbstundentakt, die Viertelstunden-Takte in der Hauptverkehrszeit wurden gestrichen.
Zum Leidwesen der Pendler, die am Dienstag reihenweise zu spät zur Arbeit erschienen. Rund 400 000 Menschen sind im Schnitt täglich im S-Bahn-Netz unterwegs, in dem ebenfalls täglich an die 750 S-Bahn-Züge fahren. Dass man in sozialen Netzwerke wie Facebook reihenweise verärgerte Kommentare von Fahrgästen findet – obligatorisch.
Der Grund für die Störung war am Morgen danach noch unklar, wie ein Bahnsprecher am Mittwoch mitteilte – die Bahnen führen mittlerweile aber wieder normal. Die Oberleitung war am Dienstag um 6.42 Uhr gerissen und auf die S-Bahn gefallen, die vom Flughafen in Richtung Backnang unterwegs war. Diese blieb daraufhin stehen, rund 300 Fahrgäste wurden von der Bundespolizei evakuiert. Gegen 9.10 Uhr wurde das Gleis stadtauswärts wieder freigegeben, gegen 14 Uhr jenes in die Stadt hinein. Das war der Fahrplan freilich schon durcheinander. Hinzu kamen weitere Störungen im Netz: Zwischen Nordbahnhof und Hauptbahnhof waren von etwa 7 bis 8 Uhr Signale defekt, so dass die Bahnen hier nur langsam fahren konnten, zwischen Backnang und Marbach gab es eine Stellwerkstörung, wodurch sechs Züge ausfielen und acht im Schnitt zehn Minuten Verspätung hatten. Bauarbeiten auf der Strecke Stuttgart-Rohr und Böblingen hatten außerdem zu einer Weichenstörung geführt, die erst am Dienstagmittag behoben wurde. Auch hier gab es Ausfälle und Verspätungen.
Nicht nur die Störung an sich, sondern auch das Informationsmanagement währenddessen steht in der Kritik. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) spricht von „einem Informationschaos bei den elektronischen Auskunftsmedien“. Dabei gebe es deutlichen Verbesserungsbedarf. Konkrete Fahrplanauskünfte unter Berücksichtigung der Störungen seien erforderlich. Der Bahn-Sprecher betonte: „Wir versuchen immer, die Informationen so schnell wie möglich zu liefern. Doch bei so einer Störungen dauert es einfach, bis die Fülle an Daten ins System eingespeist ist.“ Da gebe es noch keine Patentlösung. Auch die App des Vekehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS) machte am Dienstag Zicken, zeigte etwa Verbindungen an, die schon gestrichen waren. Man habe die Pushmeldungen ständig aktualisiert, sei bei der „enormen Störungslage“ aber nicht hinterhergekommen.
„Kein guter Tag für die S-Bahn-Fahrgäste“, urteilte der VCD-Vorsitzende Matthias Lieb, der die Störung auch zum Anlass nahm, für den Erhalt der Ausweichstrecke für die S-Bahn zu werben. So wurden während der Störung 39 Züge über den Kopfbahnhof und die Gäubahnstrecke umgeleitet. Auf kurzen Wegen hätten die Pendler so zwischen Fern-, Regional- und S-Bahn-Zügen umsteigen können. „Ein bislang funktionierendes Konzept“, so Lieb, das mit der Realisierung von S 21 allerdings Geschichte werde. Dabei überzeugten die Ersatzkonzepte nicht.
Auf Zwischenhoch folgt neue Talfahrt
Pünktlichkeit Es ist erst ein paar Monate her, dass die Bahn verkündete, die Pünktlichkeitswerte der S-Bahn Stuttgart seien deutlich besser geworden. Doch nach diesem kleinen Hoch sind die Zugzeiten jetzt offenbar wieder auf Talfahrt. Schon im Juli waren die Werte abgesackt: Sowohl bei der sogenannten Drei-Minuten-Pünktlichkeit als auch bei der Sechs-Minuten-Pünktlichkeit wiesen die Bahnen die schlechtesten Werte dieses Jahres auf. 85,5 Prozent der Züge kamen demnach weniger als drei Minuten zu spät, 95,5 weniger als sechs Minuten. Die Zielwerte liegen indes bei 94,5 und 98 Prozent. Und der August könnte noch schlechtere Werte bringen. Neben der Großstörung am vergangenen Dienstag wurden allein in diesem Monat rund zehn auffälligere Störungen gezählt, wie ein Bahn-Sprecher bestätigte. Darunter seien aber beispielsweise auch drei Brandmeldealarme an unterschiedlichen Stationen gewesen, für die die Bahn nichts könne.
Investitionen Klagen über gehäufte Störungen könne er verstehen, sagt der Bahn-Sprecher. Die individuelle Betroffenheit sei stets groß. Im Vergleich zur Masse der gefahrenen Zugleistung bewertet er die Zahl der Störungen jedoch als „nicht übermäßig“. Überdies sei man ständig daran, die Bahnen pünktlich und stabil fahren zu lassen. Dazu gehören demnach jährliche Investitionen ins Netz der Stuttgarter S-Bahn von rund 48 Millionen Euro sowie regelmäßige Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten. Im kommenden Jahr will die Bahn die Stammstrecke in 30 Nächten teilweise sperren, um die Technik zu prüfen und zu reparieren. Dabei handle es sich allerdings nicht um eine Extra-Leistung, sondern um Arbeiten, die schon jetzt laufend stattfänden, ab dem kommenden Jahr aber nachts durchgeführt werden müssten, weil der Fahrplan zum Dezember nochmals erweitert werde und dann weniger Zeit für Sanierungsarbeiten bleibe, so der Sprecher.dl