Erstmal abwarten, so lautete die Devise der Union, nachdem das Duo Esken/Walter-Borjans vor zehn Tagen den Mitgliederentscheid der SPD gewonnen hatte. Erstmal abwarten, lautete auch die Devise vor dem Parteitag der Sozialdemokraten am Wochenende. Erstmal abwarten, womit die Sozis so kommen.
Inzwischen hat die SPD beraten, gewählt und entschieden. Übersichtlicher ist die Lage für die Union allerdings nicht geworden. Nein, die große Koalition wurde zwar nicht unmittelbar beendet. Und ja, der neue Linkskurs der Sozialdemokraten ist nun nachlesbare Beschlusslage und mit teilweise einhelliger Zustimmung des Parteitags versehen. Ob aber ein Mindestlohn von zwölf Euro oder die Abschaffung von Hartz IV, das beherzte Ja zu mehr Schulden oder ein höherer CO2-Preis vor allem der linken Selbstvergewisserung dienen sollten oder aber konkrete Forderungen an CDU und CSU sind, ist weiter unklar. Der Union bleibt also nichts anderes übrig, als weiter abzuwarten.
CDU/CSU haben wenig Spielraum für Koalitionsbrüchen aller Art
Das allerdings ist für die beiden C-Regierungsparteien eine nur auf den ersten Blick bequeme Position. CDU und CSU drohen für den Rest der Legislaturperiode einer Art Reaktions-Falle festzustecken: Die SPD fordert, die Union muss sich dazu verhalten. So lief es bereits bei der Grundrente; und diese Episode war weder dem Profil noch der innerparteilichen Harmonie in der CDU sonderlich zuträglich. Die Union mag in den Umfragen noch immer weit besser dastehen als die SPD, aber der wirklich stärkere Koalitionspartner ist sie nicht. Denn auf der einen Seite steht ihr Anspruch an sich selbst als einer staatstragenden Verantwortungspartei – was den Spielraum für das In-Kauf-Nehmen von Koalitionsbrüchen aller Art erheblich einschränkt. Auf der anderen Seite gähnen inhaltliche Leerstellen: In Sachen Klimaschutz beispielsweise ist trotz Positionspapieren und Regierungsbeschlüssen noch immer noch unklar, wie genau nun das Ansteigen der Meeresspiegel verhindert werden soll.
CDU-Chefin AKK kommt mit ihren Vorschlägen in eigenen Reihen nicht richtig gut an
Einzig die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, das muss man ihr lassen, bemüht sich in schöner Regelmäßigkeit, neue Ideen zu lancieren: Sicherheitszone in Syrien, allgemeine Dienstpflicht, bewaffnete Drohnen, deutscher Sicherheitsrat. Allerdings findet sich schon in den eigenen Reihen meist niemand, der das Thema aufnimmt und entschlossen nach vorne spielt. Immerhin aber hat es AKK so zur meistbeschimpften Unionspolitikerin auf dem SPD-Parteitag gebracht.
Künftig aber drohen eigene Vorstöße für die Union geradezu toxisch zu werden. Denn das wäre für die SPD dann ein willkommener Vorwand, genau das zu starten, was die Union um jeden Preis verhindern will: neue Koalitionsverhandlungen nämlich. In diese Kategorie lässt sich wohl auch die plötzliche Bereitschaft der SPD einsortieren, über eine Unternehmenssteuerreform zu sprechen. Der Veränderungsdrang der SPD könnte also die paradoxe Folge haben, dass sich mit dieser Koalition weniger statt mehr verändern wird. Für das Land ist das keine so gute Nachricht.