Instagram und Youtube sind voll mit Überfliegern. Karl Ess zum Beispiel, „Multiunternehmer Stratege Visionär & Investor“, der für den Business-Look „Indoor-Brille“ trägt und den unter den Verdacht des Menschenhandels stehenden Frauenhasser Andrew Tate verteidigt. „Es ist einfach. Leute die ihn nicht mögen, mögen sich selbst meistens nicht. Schwach.“ Ess gibt solchen schwachen Menschen die Chance, stark zu werden. Der Erfolg ist nur ein paar Klicks und ein paar bezahlte Coachings entfernt.
Über den unüberhörbar in Stuttgart aufgewachsenen Ess und andere zwielichtige Business-Influencer machte sich erst kürzlich Jan Böhmermann im „ZDF Magazin“ lustig. Sebastian Hotz, der als Autor für die Sendung arbeitet, hat ein besonderes Exemplar dieser Gattung erfunden. Maximilian Krach hilft Schafen bei der Verwandlung in Wölfe. Einen Wolf erkennt man am Slim-Fit-Anzug, am aufrechten Gang, am richtigen „Mindset“. So heißt auch Hotz‘ Romandebüt, um das sich angeblich die Verlage gerissen haben. Das Thema skaliert, würde Supergründer Frank Thelen sagen, Krach bestimmt auch. Kiepenheuer & Witsch hat gewonnen, Startauflage laut „Spiegel“: 50 000. Ein kalkulierter Bestseller für die Leserschaft unter 30.
Hotz, geboren 1996 und aufgewachsen in der Fränkischen Schweiz, ist als „El Hotzo“ ein Social-Media-Star, der witzigste Deutsche auf Twitter. 555 000 Follower, sogar 1,3 Millionen auf Instagram, bekannt für schlaue Botschaften. Neulich etwa: „Wir leben in der perfekten Welt, klar muss man manchmal 3h für eine Wohnungsbesichtigung anstehen, 16 Wochen auf einen Arzttermin warten oder ein halbes Jahr auf einen Termin beim Bürgerbüro, aber dafür kann ich mir jederzeit ein Minion-Kuscheltier per Overnight-Express bestellen.“ Oder: „Kein Kompliment ist schöner als eine Beleidigung von jemandem mit Deutschlandflagge im Profil.“
Der 27-Jährige, obwohl selbst studierter Wirtschaftswissenschaftler, vergöttert ganz bestimmt nicht Egomanen wie Elon Musk. Anders als Maximilian Krach, der es vom Pizzaboten zum Millionär gebracht hat. Mit „MINDSET. DISZIPLIN. EGO“, der Dreifaltigkeit, die er auch in seinem Programm „GENESIS EGO“ predigt. Versalien sind obligatorisch bei einer so großen Sache.
Krach spricht aber nur im gemieteten Konferenzraum des Holiday Inn in Mülheim an der Ruhr, wo er einer Handvoll männlicher Underperformer Selbstbewusstsein und Business-Sprech einimpft, immer blödere Vergleiche mit Wölfen und Schafen bemüht und von seinem jüngsten Bentley-Kauf erzählt. „Einfach, weil mir nach einem Meeting langweilig war!“
Dass Krach – „Entrepreneur, anerkannter Finanzexperte, Lifestyle-Coach, Success-Advisor und Gründer von KRACH CONSULTING“ – ein paar Minuten früher noch vor Panik auf der Hoteltoilette gekotzt hat und Regionalbahn statt Luxuslimousine fährt, muss ja keiner wissen. Die zweite Hauptfigur von „Mindset“ ist Mirko, unterforderter IT-ler in einem langweiligen Unternehmen, Mitte 20, ohne Freundin, Freunde oder Hobbys. Passenderweise beim Handysurfen auf dem Büroklo entdeckt er „Genesis Ego“. Und beginnt, dank Krach ein neuer Mensch zu werden. Ach was, ein Wolf. Das merkt auch seine ältere Kollegin Angela, der allerdings Mirkos sektenähnliches Krypto-Gerede Sorgen bereitet.
Ein Krach-Typ der Premium-Version ist Minister
„Mindset“ ist kein Schlüsselroman über die Coaching-Branche, sondern ein Buch über das, was man heute gerne „brüchige Männlichkeit“ nennt, angesiedelt da, wo Deutschland angeblich am tristesten ist, Mülheim an der Ruhr und Gütersloh, Kettenhotel und Schützenfest. Hotz kennt sich da aus, beim Lesen kann man die Auslegeware und den Pumpkannenkaffee geradezu riechen. Und ein Krach-Typ sitzt in der Premium-Version ja sogar in der Regierung. „Probleme sind nur dornige Chancen“: Das Zitat des 18-jährigen Christian Lindner hat dieser Anti-Held auch in seinem Repertoire.
Dass man das alles kennt oder zu kennen glaubt, ist aber auch die große Schwäche von „Mindset“, über das High-Performer-Geblubber liest man irgendwann einfach weg, das Elend der sexuell und zwischenmenschlich abgehängten Normalos ist bei Heinz Strunk amüsanter und beim frühen Michel Houellebecq interessanter. In solche literarischen Sphären dringt Hotz‘ Roman sowieso nicht vor: Sprachlich und formal bleibt er konventionell, auf der Handlungsebene passiert wenig. Das Buch steckt in den Köpfen seiner Protagonisten fest.
Oder etwa im Kopf von „El Hotzo“? Von der Länge her entspreche „Mindset“ etwa 3000 Tweets, hat der Autor in einem Interview ausgerechnet, nicht viel für einen, der schon fast 26 000 abgesetzt hat. In den Einleitungen zu den Kapiteln, in denen eine unbekannte Stimme essayistisch über Phänomene wie Spam-Mails oder freiwilligen Schlafentzug referiert, scheint noch die Kulturkritik von „El Hotzo“ durch. Den Punch seiner Kurznachrichten aber hat er nicht in die Langform hinübergerettet.
Was „Mindset“ aber nicht ist: eine weitere Nabelschau einer Internet-Berühmtheit oder die lamentierende Selbstkritik einer Gen-Z-Personality. Sebastian Hotz interessiert sich für andere Menschen, er zeigt Verständnis und Mitleid. Keine schlechten Voraussetzungen für eine Schriftstellerkarriere.
Sebastian Hotz: Mindset. Kiepenheuer & Witsch, 288 Seiten, 23 Euro.