Die Helden sind immer die Zurückgekehrten. Die, die Abenteuer und Gefahr in der Fremde erfolgreich oder zumindest lebendig hinter sich gebracht haben, um von dem Erlebten zu berichten. Das ist bei Homers Odysseus nicht anders als bei J.R.R. Tolkiens kleinem Hobbit. Und auch Peter Handke hat in seinem mittlerweile auf Großschriftstellerniveau angewachsenen Werk schon einige solcher Heimkehrergeschichten erzählt. Insofern kommt es dem Leser also fast zu bekannt vor, dass sich der jüngste Prosaband des österreichischen Autors einmal mehr einer Figur widmet, die wieder da ist. „Nach mehreren Wochen Stromerns“. Streifzüge allerdings, von denen der Leser wenig erfährt. Nur drei Tage nach seiner Rückkehr nämlich drängt es den Ich-Erzähler schon wieder zum Aufbruch.
Die Handlung des Buches spielt im bekannten Handke-Kosmos, dem Pariser Umland mit seinen Hügeln, Vorortzügen und Feierabendbars. Ansonsten freilich ist einiges anders als sonst bei dem österreichischen Nobelpreisträger. Schon der Titel „Das zweite Schwert“ klingt ungewohnt martialisch für einen sprachsensiblen Beobachtungsschreiber wie Handke. Schließlich platzt die Bombe: Das schreibende Alter Ego des Autors versucht, jemand zum Mord anzustiften. Was ist passiert? Der Langzeitspaziergänger mit dem romantischen Reisesack sinnt auf persönliche Rache. Rache an einer Ex-Schauspielerin für die Beleidigung seiner Mutter. Diese hatte der Frau wahrheitswidrig vorgeworfen, einst den Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland gefeiert zu haben. Das will der Sohn nicht auf seiner toten Mutter sitzen lassen, er sucht Vergeltung an der Feindin.
Peter Handke hat viele Kritiker
Feinde hat auch Handke selbst genug. Im Rahmen der Nobelpreisverleihung 2019 holte ihn seine Parteinahme für Serbien im Jugoslawienkrieg ein. Manchen Kritikern gilt er als Sympathisant von Völkermördern, der sich hinter einem unzeitgemäßen, politisch-naiven Ästhetentum verschanze. Auf Korrekturen hat man bislang vergeblich gewartet und Verirrungen wie die Grabrede für Slobodan Miloševic revidiert auch dieser Band nicht.
Trotzdem stellen sich die 160 Seiten einem politischen Thema. Zunächst unmerklich verklammert der 78-Jährige Österreichs Trauma vom Nazigejubel auf dem Heldenplatz mit einer persönlichen Geschichte. Bereits in „Wunschloses Unglück“ hatte er die Depressionen der Mutter geschildert. Jene biografischen Wunden des Autors scheinen nun in einem Wachtraum seiner Erzählerfigur wieder aufzureißen. Einst hatte dieser der Mutter in jugendlichem Rebellentum vorgeworfen, gegen das „Verbrecherreich“ keinen Widerstand geleistet zuhaben. Das Private ist politisch, hieß es in den 60ern. Aber die ohnehin labile Frau stürzte durch die Frage nach der Vergangenheit in eine tiefe Krise. Wimmernd bricht sie in der ergreifendsten Szene des Ganzen vor dem „Möchtegern-Richter“ zusammen. „Und ihr Schluchzen wird niemals aufgehört haben.“
Soll Literatur über Gräuel in der Welt schweigen?
Das löst im Ich-Erzähler ein Umdenken aus. Fortan misstraut er den weltlichen Richt- und Racheschwertern, weshalb auch die Beleidigerin der Mutter ihren Kopf behalten darf. Ungeklärt bleibt aber eine andere Frage: Plädiert Handke mit seiner versöhnlichen Wendung im Zweifelsfall sogar für ein Schweigen der Literatur über außerliterarische Gräueltaten? Um sich vorsorglich weitere Fragen nach Srebrenica zu verbitten? In vieler Hinsicht ist „Das zweite Schwert“ ein sanftes, ethisch besorgtes Buch – in manchen Punkten aber auch ein höchst ambivalentes, an dem sich bald schon eine neue Kontroverse entzünden könnte.
Umstrittener Nobelpreisträger
Peter Handke kam 1942 in Kärnten zur Welt. 1966 erschien sein erster Roman „Die Hornissen“ bei Suhrkamp. Handke verfasste mehr als 70 Prosawerke sowie knapp zwei Dutzend Theaterstücke. Für sein Schaffen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, 2019 den Nobelpreis für Literatur.