Vier junge Amerikaner, keiner älter als 24, und sie spielten ein Debüt: ihr erstes öffentliches Konzert in Deutschland. Das Isidore String Quartet trat im Ulmer Stadthaus in der Reihe „klassisch!“ auf, und das war nicht nur für die Musiker ein besonderes Erlebnis  – auch fürs begeisterte Publikum: am Anfang einer mit Sicherheit großen Karriere als Ohrenzeuge dabei zu sein, und sowieso darüber zu staunen, wie ein junges Streichquartett sich so die Welt erschließt. So durchdacht, unkonventionell, mit unglaublicher Energie.
Mit dem Streichquartett Nr. 44,3 von Felix Mendelssohn Bartholdy hoben sie die Zuhörerinnen und Zuhörer förmlich aus den Stühlen. Standings Ovations – das kommt bei einem Kammermusik-Abend wirklich nicht jeden Tag vor. Wobei man sich hätte fragen können: War das wirklich Mendelssohn? So modern, so aufgeraut; mit spukhaft rasantem Tempo das Scherzo, mit innigem Gesang und einem so coolen wie präzisen, schlicht mitreißenden Finale. Ein Musikwissenschaftler namens Eric Werner hat mal geschrieben, dass Mendelssohn 1837 nach seiner Heirat mit Cécile ins klassizistisch Konventionelle verfallen sei, das häusliche Glück habe zu einer „Wertminderung seiner Leistungen“ geführt, seinen „kompositorischen Jähzorn“ geheilt. Sorry, was für ein Blödsinn. Wie spannend romantisch war dieses Es-Dur-Streichquartett jetzt zu erleben!

Die Banff-Gewinner auf Tour

Das Isidore String Quartet, das sich erst 2019 in New York an der berühmten Juilliard School gegründet hat und sich nach dem legendären Geiger Isidore Cohen nennt, ist natürlich nicht einfach aus dem Boden gewachsen: Adrian Steele und Phoenix Avalon (Violine), Devin Moore (Viola) und Joshua McClendon (Violoncello) haben im vergangenen Jahr den internationalen Streichquartett-Wettbewerb im kanadischen Banff gewonnen. Das ist aktuell ihre Einlasskarte in die ersten Konzertsäle Europas – jetzt waren sie aus Luzern angereist, wo sie auf dem Festival auch eine Uraufführung spielten.
Was hieß: In Ulm erklang „Forever Is Composed of Nows“ von Arman Gushchyan war eine deutsche Erstaufführung. Ein gebürtiger Armenier, der in Russland wirkte bis er 2022 nach Los Angeles zog. Der Titel des Werks bezieht sich auf ein Gedicht von Emily Dickinson und bedeutet auf Deutsch „Für immer ist aus Jetzts gemacht“ – es ist eine Erkundung der Augenblicke, auch eine trauernde Betrachtung unserer Zeit: ausgedehnte, kristalline Klangflächen, ein Volksliedthema, vielfach wiederholt bis ins Verschwinden der Realität. Kein unvergessliches Werk – aber die „Isidores“ zeigten ihre großartige Technik und Team-Balance in der perfekten Mikrotonalität.
Das Alte zu behandeln, als sei es neu, und das Neue, als sei es alt – das ist die Devise der Amerikaner. Und man es muss es wieder sagen: Als Joseph Haydn seine „Sonnenquartette“ komponierte, 1772, war das auch avantgardistisches Experimentieren gewesen. Das Alte neu? Mit an der Moderne erprobtem Zugriff spielten die „Isidores“ Haydns op. 20,2: unverzärtelt, strukturenklar, mit eigenwilligen Details, mit Risiko, extrem, die Motive herausarbeitend im echten Quartett-Dialog, in tollen dynamischen Abstufungen zum Durchhören. Haydn? Das  Adagio klang nach romantischer italienischer Oper aus dem frühen 19. Jahrhundert. Und wie einst Haydn in der finalen Quadripelfuge den alten Bach erforscht hatte, so zerlegten auch jetzt diese Musiker  das Werk in seine Einzelteile und setzten es atemraubend wieder zusammen. Jubel. Und eine Zugabe: das lyrische „Adoration“ (Anbetung) von Florence Price.

Barbican Quartet mit zwei Komponistinnen

Das in London ansässige Barbican Quartett ist der nächste Gast der Reihe „klassisch!“: am 18. Oktober (Mittwoch), 20 Uhr, im Stadthaus. Im vergangenen Jahr gewannen die jungen Musikerinnen und Musiker den hochkarätigen ARD-Musikwettbewerb in München. Jetzt ist das „Barbican“ auf Tour. Sie spielen ein besonderes Programm: Streichquartette von Franz Schubert (Nr.10) und Benjamin Britten (Nr. 1) und Werke von zwei Komponistinnen, von Rebecca Clarke („Poeme“) und Joy Lisney („C’est l‘extase“). Tickets im ServiceCenter Neue Mitte, an allen Reservix-Vorverkaufsstellen und unter swp.de/ticketshop.