Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
kurz vor 11 Uhr in den Saal der Reutlinger Stadthalle zu Popmusikklängen einmarschiert, klatschen die Delegierten des Landesparteitags begeistert. Viele machen Fotos mit ihrem Handy, andere recken Plakate in die Höhe. „Voll muttiviert“ steht in Anspielung auf Merkels Spitznamen „Mutti“ darauf oder schlicht: „Kanzlerin“.
Merkel ist der Star des 71. Landesparteitags der CDU Baden-Württemberg. Zwei Wochen vor der Wahl soll sie die Basis einschwören auf den Endspurt. „Wir haben keine Stimme zu verschenken – an niemanden“, ruft sie den Delegierten in ihrer Rede zu; und dass Rot-Rot-Grün „schlecht für unser Land“ wäre. Sie packt in ihre Rede ein paar Seitenhiebe gegen die SPD, aber die zentrale Botschaft lautet: Die Chancen für die CDU stehen gut, aber „es ist noch nichts entschieden“.
Es soll auch eine Warnung sein an die Parteifreunde, die angesichts der Umfragen glauben, es sei schon alles gelaufen. Mit leichter Sorge hat die Parteizentrale wahrgenommen, dass die Schlagkraft im Wahlkampf zuletzt etwas nachgelassen hat, die Zahl der Haustürbesuche mancher Kandidaten rückläufig war. „Auf uns kommt es an, packen wir’s an“, gibt daher auch CDU-Landeschef Thomas Strobl den Motivator. „Wir haben allen Grund, alles dafür zu tun, dass Demagogen und Populisten in diesem Land keine Stimme bekommen“, warnt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit Blick auf die AfD.
In ihrer Rede schlägt Merkel den großen Bogen, verspricht die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule und dass die CDU „keine Hand mehr“ an die Erbschaftssteuer anlegen werde. In Richtung Autoindustrie sagt sie: „Sie muss den Schaden gutmachen, aber nicht so, dass es hinterher keine Autoindustrie mehr gibt.“ Es ist eine Mischung, die gut ankommt im Saal. Die Delegierten feiern Merkel mit Ovationen im Stehen. Dass das Verhältnis zwischen großen Teilen der Südwest-CDU und ihrer Kanzlerin vor der Landtagswahl im März 2016, als die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreicht hatte, mehr als angespannt war, spielt nun keine Rolle mehr.
Für Irritationen sorgt indes, dass Merkel nach ihrer Rede noch einmal ans Mikrofon tritt und etwas sagt, was allen Gepflogenheiten widerspricht. Sie habe noch etwas vergessen: „Daniel Caspary hat meine volle Unterstützung für das, was noch kommt.“ Was folgt, sind die Wahlen der Führungspositionen in der Südwest-CDU. Der Europapolitiker Caspary tritt für den Bezirk Nordbaden für einen der drei Posten des stellvertretenden Landeschefs an – und fordert damit die drei Amtsinhaber Annette Widmann-Mauz (Württemberg-Hohenzollern), Thorsten Frei (Südbaden) und Winfried Mack (Nordwürttemberg) heraus. Später entschuldigt sich Merkel hinter den Kulissen bei dem Trio für ihren Satz. Und auf der Bühne stellt Tagungspräsident Thomas Bareiß klar, dass die Kanzlerin keine Wahlempfehlung habe aussprechen wollen.
Doch da ist die ohnehin angespannte Atmosphäre bereits vergiftet. Casparys Kandidatur hatten viele als den von Strobl wohlwollend geduldeten Versuch gesehen, Mack einen Denkzettel zu verpassen. Der Fraktionsvize gilt im Strobl-Lager als Querulant. Nun haben viele den Eindruck, dass Strobl oder Caspary Merkel für ihre Sache instrumentalisiert haben. Das bestreiten beide zwar nach Kräften. Bei seiner Wiederwahl zum CDU-Landeschef erhält Strobl aber nur noch 82 Prozent; würden die Enthaltungen entgegen der CDU-Praxis mitgezählt, wären es sogar nur 79,5 Prozent. So oder so liegt das Ergebnis klar unter den Werten seiner Wiederwahlen von 2013 und 2015. Es dürfte auch Ausdruck eines nach wie vor angespannten Verhältnisses zwischen Strobl und Teilen der Landtagsfraktion sein, deren Vize Mack ist.
Beschädigt aus der Machtprobe
Doch auch der geht beschädigt aus der Machtprobe hervor: Die Delegierten stimmen für Widmann-Mauz (73,6 Prozent), Frei (69,1) und Caspary (55,9) als Vize-Parteichefs, Mack verliert das Amt mit 47,4 Prozent. Später wird er aber mit dem drittbesten Ergebnis als einer von 25 Beisitzern in den Landesvorstand gewählt. Auf dem ersten Platz landet dabei Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut mit 78,6 Prozent. Als Liebling der Partei darf sich Kultusministerin Susanne Eisenmann fühlen, die mit 91,8 Prozent ins Präsidium gewählt wird.
Eisenmann wie Hoffmeister-Kraut hatte Strobl gegen manche Widerstände in der Landtagsfraktion als Ministerinnen ins grün-schwarze Kabinett geholt. Ihr gutes Abscheiden bei der Basis dürfte daher ein Trostpflaster für ihn sein.
Für kontrollierte
Wolf-Abschüsse
Der Landesparteitag stimmte für einen kontrollierten Abschuss des Wolfes in Deutschland. In einem Antrag, der in Reutlingen angenommen wurde, heißt es, die CDU begrüße die Rückkehr des Wolfes. „Eine ungehinderte Vermehrung aufgrund des Fehlens natürlicher Feinde gefährdet jedoch die Zukunft der Weidehaltung und des Grünlanderhalts.“ Die CDU plädiere daher für eine „Bestandsregelung“, ohne den Wolf-Schutz infrage zu stellen. Agrarminister Peter Hauk unterstützte den Antrag. dpa
Dämpfer für Strobl
Die Delegierten des CDU-Landesparteitags in Reutlingen haben CDU-Landeschef Thomas Strobl einen klaren Dämpfer verpasst: Bei seiner Wiederwahl erhielt der 57-Jährige nur 82 Prozent der Stimmen. 2015 war er noch mit 97,8 und 2013 mit 87,3 Prozent im Amt bestätigt worden.
Zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Delegierten auf den Endspurt im Bundestagswahlkampf eingestimmt. „Packen sie mit an. Wir haben gute Chancen, aber es ist noch nichts entschieden“, rief Merkel der Parteibasis zu. Strobl sagte, die Südwest-CDU werde am Wahlabend „ein dickes Pfund“ abliefern.
Merkel warnte in ihrer Rede davor, in der Debatte um Fehlverhalten der Autoindustrie beim Diesel zu überziehen. „Sie muss den Schaden gutmachen, aber nicht so, dass es hinterher keine Autoindustrie mehr gibt“, sagte die Kanzlerin. Man müsse vielmehr dafür sorgen, dass die Autoindustrie in die Zukunft investiere.
Der Landesparteitag machte sich für eine Art Bestandsschutz für Dieselfahrzeuge stark. „Die CDU setzt sich dafür ein, den heute stark verunsicherten Eigentümern und Haltern von Dieselfahrzeugen einen angemessenen Bestandsschutz für die Nutzung ihrer Fahrzeuge zu gewähren“, heißt es in einem Parteitagsbeschluss. Dieser soll sowohl die Eigennutzung als auch die Nutzung der Dieselfahrzeuge „durch künftige Käufer“ umfassen.