Der Abschied vom Festland macht Spaß: erst mal einen Teller frische Krabben verputzen auf dem historischen Viermaster „Barken Viking“, der heute als Museumsschiff im einstigen Werftviertel von Göteborg parkt und völlig still hält. Derart gestärkt, steigt man um auf die „M/S Erik“, die - Baujahr 1881 - noch älter, aber keinesfalls museumsreif ist und sich flott durch die westschwedischen Schären bewegt. Ob das ein Vergnügen wird, angesichts von Sprühregen aus hellgrauem Himmel bei Dauerwellen auf mittelgrauem Meer?
Kaum ist Göteborg zur fernen Idee geschrumpft, legt jemand den Schalter um von Nieselgrau auf Sommerfrische. Jetzt wärmt die Sonne, die salzige Brise schmeckt nach Abenteuer, und das Meer changiert in den schönsten Blau- und Grüntönen. Inseln ziehen vorbei, große, kleine, bewohnte und menschenleere. An einer der schönsten, so verspricht Martin Hedlund von der „M/S Erik“, stoppt das Schiff. Landgang auf dem 300 mal 300 Meter kleinen Doppelinselchen Källö-Knippla, dessen Bewohnerzahl sich im Sommer auf knapp 1000 verdreifacht. Ein Ferienhäuschen hier gilt als schick, dafür blättert man freilich nicht unter 250 000 Euro hin, Tendenz steigend. Als alle das Idyll abgelichtet und Hedlunds kleiner Geschichtsstunde gelauscht haben, nimmt das Schiff wieder Fahrt auf, zur Insel Marstrand.
Schon von Weitem grüßt die mächtige Festung Carlsten, der die bildhübsche Stadt Marstrand zu Füßen liegt. Hinter dem beliebten Segelhafen mit buntem Mastenmikado kommen prächtige, helle Häuser aus dem vorletzten Jahrhundert zum Vorschein. Dazwischen führen breite Gassen mit Kopfsteinpflaster zu üppigen Gärten, kleinen Läden, Cafés und Restaurants. Hier gefiel es dem schwedischen König Oskar II. so gut, dass er 1892 ein Grandhotel bauen ließ. Das soll er aber viel seltener genutzt haben als den benachbarten Tennisplatz - Schwedens ersten - und das dazu passende Clubhaus.
Anders Palsson, Restaurantmanager im Grandhotel, hat bereits Bekanntschaft mit dem Inselgeist gemacht. „Jemand saß oben am Fort Carlsten. Als ich hingekommen bin, war er weg. Und als ich das erzählte, nickten alle wissend und sagten, das geht jedem Neuen auf der Insel so . . .“, erzählt er. Hugo, der Hüter der Festungsanlage, die viele Jahre ein Gefängnis war, weiß um das Phänomen. „1810 saß hier eine Frau, die einzige, in Einzelhaft. Nach Jahren der Folter gestand sie, ihren Mann und ihre Kinder umgebracht zu haben. Doch vermutlich war sie unschuldig und ihre Seele geistert nun herum“, sagt er.
Wie hart die Bedingungen für die Sträflinge waren, sieht man in den engen, meist überfüllten Zellen und in der Folterkammer mit Ketten, Zangen und Äxten, Hand- und Fußschellen. Bis zu 250 Gefangene lebten hier, denn sie mussten die Festung bauen. Als die Insel 1558 schwedisch wurde, sollte in Marstrand die Marine stationiert werden, denn dank heftiger Strömungen vereist das Meer nicht. Für die Festung ließ König Karl Steine vom Festland heranschaffen und für den Transport und die Verarbeitung rekrutierte man Strafgefangene. Nur wenn sie arbeiteten, bekamen sie Geld für Nahrung und Holz zum Heizen. Der Bau der Anlage mit ihren bis zu 16 Meter dicken Mauern dauerte 202 Jahre. Bis 1990 wurde die Festung militärisch genutzt, denn während des Kalten Krieges war hier ein wichtiger Stützpunkt zwischen Ost und West. Heute wird ein Teil als Hotel genutzt.
Nach den dunklen Verliesen freut man sich an der frischen Seeluft, die der Bootstrip nach Tjörn reichlich beschert. Steuerfrau Annika kreuzt seit vielen Jahren durchs Archipel und kennt jedes der zahlreichen Inselchen und die meisten ihrer Bewohner. Åstol zum Beispiel, ein von der Natur perfekt geformtes Eiland in Hufeisenform. Im Naturhafen liegen die 20 Fischerboote der Insel, an die felsigen Hügel schmiegen sich die rot-weißen Holzhäuser der 150 Einwohner, und Autos braucht hier kein Mensch. Mit ihrer Geschichte zur Insel bringt Annika alle zum Lachen: „Auf Åstol wurde einmal eine alte Fischerwitwe vom Fernsehen interviewt. Man fragte sie, wie sie es denn ausgehalten habe, wenn ihr Mann elf Monate im Jahr auf See war. Ihre Antwort lautete: ,Ach, der eine Monat ging auch vorbei.‘“
Ein kleines, aber wichtiges Anhängsel der Insel Tjörn ist Klädesholmen, ein über eine Brücke angebundenes Halbinselchen. Es gilt als Hochburg des Herings, der früher die ganze Insel ernährte. Daran erinnern ein Heringsmuseum und der Heringstag, der alljährlich im Juni festlich begangen wird. Mit mehr als 40 Sorten eingelegten Herings hält das Salt & Sill die kulinarische Tradition lebendig. Wer aber glaubt, alle Sorten mit Dill oder Whiskey, mit Beeren oder Pfeffer verkosten zu können, wird scheitern, denn der Hering hat’s in sich.
Derart gestärkt schwingt man sich aufs Rad und erkundet die Insel. Schön angelegte und gut ausgeschilderte Radwege führen über Holzbohlen und Sandstreifen, durch duftende Kiefernwälder, Wiesen und Eichenwäldchen. Immer wieder öffnet sich der Blick aufs Meer, das in winzigen Buchten an felsige Strände schwappt. Bis plötzlich eine Fata Morgana alle Blicke auf sich zieht: Ein riesiger Kopf scheint körperlos über einem Hügel zu schweben. Doch das täuscht. Anna, so der Name der Dame, ist Teil des Skulpturenparks Pilane. Wer durch das weitläufige Gelände bis zur Figur hinauf wandert, kann sie anfassen, wenigstens auf den ersten ihrer insgesamt 14 Meter Höhe. „Die Natur ist Teil der Ausstellung“, erklärt Kurator Peter Lennby. Denn auf dem acht Hektar großen Gelände zwischen den 15 Skulpturen grasen auch Schafe und ruhen 2000 Jahre Grabsteine.
Am nächsten Morgen parkt das Fahrrad in Rönnäng am Hafen, Wanderschuhe werden ausgepackt. Das Boot schippert die Truppe nach Dyrön, noch so ein Inseltraum aus vom Wasser rund geschliffenen Granitblöcken. Violette Erika, orangefarbene Vogelbeeren und gelbe Astern tupfen Farbe in das Steingrau inmitten von Meerblau. Ein Wanderpfad führt in stetigem Auf und Ab um die Insel. Draußen, auf dem Wasser-Highway, wie die Einheimischen spotten, brettern Halbstarke mit Motorbooten und lassen Muskeln und Gashebel spielen, um das Publikum an Land zu beeindrucken. Das wendet sich nach kurzem Schmunzeln wieder der Natur zu und biegt in die nächste Badebucht ab. Das klare Wasser lädt in der Tat zum Bad, die 18 Grad Wassertemperatur lassen aber kräftig nach Luft schnappen. Danach sitzt man auf sonnenwarmen, von Flechten überzogenen Felsen, schaut den Segelbooten nach und lauscht dem Geschrei der Seevögel.
Fast genauso laut kreischen die Kinder, die dem Crab-Fishing frönen. „Ein Sommer ohne ist kein Sommer“, erklärt Ann-Sofie Strömbäck, die mit Tochter Marlin und deren Freundin Astrid am Steg sitzt. Mit einem satten Klatschen öffnet sie eine große Muschel, zupft ein bisschen Fleisch heraus und befestigt sie an einer Wäscheklammer. Die ist Teil der Angel aus Stab und Schnur. Wenig später kreischt eine der Siebenjährigen triumphierend und zieht einen handtellergroßen Kurzschwanzkrebs aus dem Meer. Er landet im mit Wasser gefüllten Eimer und bleibt dort bis zum finalen Auftritt: Der ganze „Fang“ darf beim Krabbenrennen zurück ins Meer.

Westschweden

Anreise
Mit dem Flugzeug von Stuttgart via Berlin oder Amsterdam nach Göteborg, dann mit dem Bus zum Hafen.
Mit der Fähre ab Kiel, www.stenaline.de.
Mit der Bahn über Hamburg und Kopenhagen nach Göteborg, www.bahn.de.
Durch die Schären fahren www.stromma.se und www.gunnarsbatturer.com.
Unterkunft
Stilvoll übernachtet man im historischen Grand Hotel Marstrand, DZ/F ab 173 Euro, www.grandmarstrand.se.
Schwedens erstes schwimmendes Hotel ist das Salt & Sill auf Klädesholmen, DZ/F ab 240 Euro, www.saltosill.se.
Essen und Trinken
Einen Vorgeschmack aufs Meer gibt’s auf dem Museumsschiff, www.barkenviking.com
Vegetarische Sauerteigpizza serviert Lotta in Rönnäng, www.lottasbakoform.se
Gehobene Küche findet man neben dem Wasserfarbenmuseum in Skärhamm, www.restaurangvatten.com
Allgemeine Informationen
www.vastsverige.com/de/insel-hupfen
www.visitsweden.com