Ohne zupackende Regie wäre Theater öde. Und wer sich nach dem Auftaktstück „Vögel“ schon über die Rückkehr zur angeblich allein seligmachenden Texttreue gefreut hatte, bekam als zweite Premiere das pure Gegenteil vorgesetzt: Eine komplett modernisierte „Orestie“, umgemodelt und verlegt in ein zeitloses Hier und Jetzt von dem britischen Regisseur und Autor Robert Icke. Er zeigt eine „Überschreibung“ des antiken Aischylos-Klassikers – deren Prinzip schon das Bühnenbild andeutet: chice Designer-Glaswände in altem Mauergewölbe.
  Und wieder war Sitzfleisch gefragt: Gute vier Stunden dauert die Mord- und Totschlag-Tragödie, doch die vergehen wie im Flug. Modernisiert heißt nicht plump aktualisiert, und so ist Agamemnon bei Matthias Leja ein austauschbarer Politikdarsteller, der gerne mit Familie posiert und Phrasen über einen notwendigen Krieg gegen einen bedrohlichen Feind ins Mikro quasselt. Weil ihm die Aussicht, als strahlender Held heimzukehren, eben doch viel wichtiger ist als die Familie, opfert er, von Beratern gedrängt, seine eigene Tochter Iphigenie.
  Das alles wirkt so, als könne es immer geschehen, überall. Icke, der den antiken Chor durch fragende Journalisten ersetzt, packt viel Zeit- und Medienkritik in seine „Orestie“. Immer wieder blendet er den späteren Gerichtsprozess um den Muttermörder Orest ein. So wird das Publikum drei Mal gebeten, „sich zu erheben“, sprich: in die Pause zu gehen. Gerade am Ende, wenn der Übergang von Blutrache zu demokratischen Gerichten etwas langwierig verhandelt wird, schafft Icke mit derlei „Verhandlungspausen“ nochmal viel Suspense.
Großartige Schauspieler, neben Leja vor allem Sylvana Krappatsch und die 91-jährige Elke Twiesselmann, verstärken den Sog dieser  „Überschreibung“. Fazit: spannend gemachtes Regietheater, kein bisschen texttreu und dennoch im Geist des Originals.