Eine große Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg dreht sich vorrangig um Namen, die jeder kennt: Luther, Kolumbus, Kopernikus, Erasmus von Rotterdam und andere, die zwischen 1500 und 1600 das Weltbild grundlegend verändert haben.   „Lu­ther, Kolumbus und die Folgen“, so lautet der Titel dieser Ausstellung, bei der überraschenderweise ein Ulmer Gelehrter eine klitzekleine Nebenrolle spielen darf, ohne dass irgend jemand sagen könnte, wie dieser Ulmer eigentlich heißt.
Eine Vitrine zeigt aus den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek  die gedruckte Version eines eigenhändigen Kurzberichts von Kolumbus über seine Entdeckungen in der Neuen Welt, genauer gesagt in der Karibik. Kolumbus selbst war ja der Meinung,  im „Indischen Meer“ umhergesegelt zu sein. Dass der heutige Leser den Bericht  ohne allzu große Probleme studieren kann, ist dem anonymen Ulmer Gelehrten zu verdanken. Der hat den Text damals als Erster ins Deutsche übersetzt. Das 1497 gedruckte Büchlein beginnt so: „Ein schön hübsch Lesen von etlichen Inseln, die vor kurzer Zeit vom König von Spanien gefunden worden sind.“

Geschrieben in höchster Not

Besonders hübsch ist natürlich, dass  der spanische König als derjenige gerühmt wird, der die Neue Welt  entdeckt habe.  So war das damals:  Die Großtat eines  Untertanen  wurde dem Herrscher höchstpersönlich gutgeschrieben.
Den Originaltext in spanischer Sprache hatte Kolumbus auf hoher See in höchster Not auf einige Pergamentblätter gekritzelt. Das  Expeditionsteam war auf der Rückfahrt  nach Spanien,  als am 14. Februar 1493 ein gewaltiger Sturm tobte und der Untergang drohte. Mit Gelübden  versuchten die Seeleute, den Himmel gnädig  zu stimmen. Kolumbus erkannte die Gefahr,  dass niemand je erfahren werde,  welche Entdeckungen seine Expedition gemacht hatte,  und verfasste in Stur­mes­eile einen Kurzbericht für den spanischen König. Der Brief  wurde, durch eine Wachsmasse zusätzlich geschützt, in ein abgedichtetes Fass gesteckt und ins aufgewühlte Meer geworfen.  Aufgetaucht  ist das Fass nie wieder. Auch eine Zweitschrift  in einem weiteren Fass, das man auf dem Schiff „Nina“ deponiert hatte, ging im Orkan für immer verloren.
Weil Kolumbus sicherstellen wollte, dass die Kunde von seinen Entdeckungen Spanien und die Welt  auch wirklich erreicht, schrieb er den  Brief tags darauf ein drittes Mal. Das war am 15. Februar, als man  das Schlimmste überstanden hatte und die „Nina“ sich bei den Azoren befand. Dieser dritte Text bildete die Grundlage für die Drucker und Übersetzer,  die sofort nach der glücklichen Rückkehr  des Kolumbus dafür sorgten, dass die  Nachrichten aus der Neuen Welt wie ein Lauffeuer durchs  alte Europa gingen.
Mit seinem Schreiben lieferte Kolumbus allerbesten Lesestoff. Er berichtete zum Beispiel,  dass  auf Hispaniola (diesen Namen hatte Kolumbus dem heutigen Haiti gegeben) und allen anderen Inseln die Menschen, seien sie Mann oder Frau, so nackt herumlaufen, wie sie aus dem Mutterleib gekommen sind. An anderer Stelle erzählt Kolumbus von einem Matrosen, der einen simplen Löffel für Gold eintauschen konnte.
Die erste Druckausgabe des Briefs erschien gleich Anfang ­April 1493 in  Barcelona. Von dort gelangte der Druck  nach Rom, wo er sofort ins Lateinische übersetzt wurde. Zu weiteren Ausgaben kam es in schneller Folge:  Basel, Paris, Antwerpen.
In Straßburg wurde 1497 eine Ausgabe in deutscher Sprache herausgebracht. Am Ende dieser Ausgabe heißt es: Zu Ulm getüetschet (verdeutscht) aus der katalonischen Zungen (Sprache) und aus dem Latein. Und der Schlusssatz informiert: gedruckt zu Straßburg von Meister Bartholomäus Kistler am 30.9.1497.
Schon vor über 100 Jahren  gab es Versuche, dem Ulmer Übersetzer auf die Spur  zu kommen.  So  wurden beispielsweise die detailreichen Nachrichten durchforstet, die Albrecht Weyermann in zwei Bänden über Ulmer Gelehrte, Künstler und „andern merkwürdigen Personen“ gesammelt hatte. Die waren 1798 bzw. 1829 publiziert worden.  Fündig wurde man nicht.
Eines steht aber fest: Der Ulmer Übersetzer war ein kundiger und umsichtiger  Mann, der Fehler vermied, die andere machten.  Die behaupteten etwa,  dass die vermeintlichen  Inder (also die Karibik-Insulaner) die zeitweilige Kälte  gut verkraften,  weil sie besonders  heiß essen. Beim Ulmer Gelehrten liest man korrekt: Die Menschen auf den Inseln verzehren Speisen, die feurig schmecken, weil sie scharf gewürzt sind.
Wie geriet die Übersetzung des Ulmer Gelehrten XY aber nach Straßburg? Und weshalb ausgerechnet zu Bartholomäus Kistler, der kein Drucker  mit Ambitionen war, sondern eher das breite Publikum bediente?
Ein Experte hielt schon vor längerer Zeit  nur eine Antwort für denkbar: Die deutsche Übersetzung des  Kolumbus-Briefs erschien 1495 zunächst in Ulm, einer Stadt mit bedeutenden Druckereien, als Büchlein für gebildete Kreise (und weil die Auflage gering war, blieb kein einziges Exemplar bis heute erhalten). Der Drucker Kistler bekam davon Wind, witterte ein gutes Geschäft und brachte die  Kolumbus-Übersetzung des Ulmer Gelehrten  1497 in Straßburg als „Volksausgabe“ heraus.

Im Germanischen Nationalmuseum

Ausstellung Ein Straßburger Drucker hat  den von einem Ulmer übersetzten Kolumbus-Brief  mit einem Holzschnitt illustriert, der zeigt, wie Christus zu  einem König spricht. Zu sehen in der Ausstellung „Luther, Kolumbus und die Folgen“ bis 12. November  im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg.