Jeden Monat fällt hier eine Kokospalme ins Meer“, sagt Ali Faisal. Die Sonne blitzt durch die Jalousie im Hafencafé, die Klimaanlage surrt. 1100 Menschen leben auf Maabaidhoo, eine der 189 bewohnten Inseln der Malediven. Ali Faisal, 29, ist ihr Bürgermeister. Schon immer, sagt er, hätten sich Wasser und Wind an den Ufern abgearbeitet. Doch mit der Zeit sei die Erosion aus dem Gleichgewicht geraten – Maabaidhoo wird kleiner.
Auf den Inseln des Laamu Atolls, zu der Maabaidhoo gehört, ist der Klimawandel längst kein abstraktes Zukunftsszenario mehr. Er bedroht wirtschaftliche Existenzen. So wie die von Fathimath Moona. Sie baut Chilischoten an, zwölf Kilo verkauft die 30-Jährige im Jahr. Doch während des Südwestmonsuns trafen heftige Wellen Maabaidhoo. Das Meerwasser ergoss sich 500 Meter weit in das Insel-Innere, überspülte auch Moonas Chiliplantage. „Der Boden versalzte, da wuchs erst einmal nichts mehr.“ In kleinen Kübeln fängt sie nun von vorne an.
Immer mühseliger wird auch der Thunfischfang, der wichtigste Wirtschaftszweig der Insel. 80 Prozent der Haushalte leben davon. Die Fischer berichten von einem dramatischen Rückgang des Köderfischbestandes an den Korallenriffen. Steigende Temperaturen und Müll gefährden das empfindliche Ökosystem, das die Atolle der Malediven überhaupt erst geformt hat.
„Die Riffe schützen auch vor Überflutung und Erosion“, sagt Ahmed Aslam von der nationalen Katastrophenschutzbehörde. Doch die natürliche Barriere bröckelt, während gleichzeitig starke Unwetter und Sturmfluten zunehmen. Zu den klimatisch bedingten Gefahren, die er und seine Kollegen identifiziert haben, gehören auch Dürreperioden und Trinkwasserknappheit. Bis 2080 rechnet die Behörde mit einem Anstieg der Durchschnittstemperatur um bis zu drei Grad. Die größte Bedrohung aber geht vom Anstieg des Meeresspiegels aus, erklärt Ahmed Aslam. Derzeit steige er um 3,1 Millimeter pro Jahr. „Die Vorhersagen, mit denen wir arbeiten, reichen von zehn bis 100 Zentimetern bis zum Jahr 2100.“ Viele der Inseln liegen im Schnitt kaum einen Meter über dem Meer. Sie würden untergehen.
Angesichts dieser Aussichten verwundert es nicht, dass die islamische Inselrepublik den großen Industrienationen regelmäßig ins Gewissen redet. Mit spektakulären Aktionen treten die Malediven für ambitioniertere Ziele bei der CO2-Reduktion ein. 2009 ließ der damalige Präsident Mohamed Nasheed seine Minister unter Wasser tagen. Auch über einen Umzug der Malediven dachte der 2012 aus dem Amt geputschte, liberale Umweltaktivist nach.
Der Exodus ist heute kein Thema mehr. „Wir bleiben hier“, sagt Thoriq Ibrahim, Minister für Umwelt und Energie im Kabinett des Autokraten Abdullah Yameen. Bremsen lasse sich der Klimawandel zwar durchaus noch, meint er. Stoppen jedoch nicht. „Also werden wir uns an ihn anpassen.“ Vom Westen fordert er dabei deutlich mehr Engagement als bisher. Vor allem, was den Transfer von Technologien in Sachen Küstenschutz und erneuerbare Energie betrifft. „Länder wie Deutschland, die mit für den Klimawandel verantwortlich sind, sollten endlich damit anfangen, uns zu unterstützen.“
Das Ziel: Sieben Millionen Touristen
Zumindest ein Großprojekt hat die Internationale Gemeinschaft bereits umgesetzt. 2013 initiierte die UN ein mehrjähriges Pilotprogramm für das Laamu Atoll, Lecred genannt. Von 9,2 Millionen Euro, die Dänemark als Geldgeber bereitstellte, konnten Auffangdächer für Regenwasser, Filtersysteme und Wasserspeicher finanziert werden. Bewohner wurden im Umgang mit Katastrophen geschult, landwirtschaftliche Alternativen zu Ackerbau und lokale Umweltprojekte gefördert. Auf Maabaidhoo beispielsweise regenerierte das örtliche Frauenkomitee ein von Mangrovenwäldern umgebenes Feuchtgebiet. Das Ökosystem regulierte Fluten und Erosion, die Frauen befreiten die Lagune vom Abfall. Nun hoffen die Menschen auf eine touristische Entwicklung der Insel. Als Alternative zum Fischfang.
„Der Tourismus funktioniert nur, wenn es der Umwelt gut geht“, sagt Thoriq Ibrahim. Immerhin ein Punkt, bei dem sich auf den Malediven alle einig sind. Hochzeitsreisende und Tauchsportler in abgeschotteten Edelresorts haben vielen Maledivern Wohlstand beschert. 1,3 Millionen Touristen besuchten das Land 2017, darunter 100 000 Deutsche. Doch die Malediven wollen mehr – viel mehr. Auf sechs bis sieben Millionen Gäste soll die Branche wachsen. Allen Klima- und Umweltsorgen, politischen Unruhen und radikalen Muslimen zum Trotz. Dafür öffnen sich die Malediven auch dem Billigtourismus. Zum Motor der Entwicklung soll dabei das größte Infrastrukturprojekt der Malediven werden: Hulhumalé.
In einem abgedunkelten Empfangsraum des Staatsunternehmens HDC leuchtet sie bereits im Modell, die Skyline der Planstadt für 240 000 Einwohner. 1997 begann die Aufschüttung der Lagune rund drei Kilometer nordöstlich von Malé, der Hauptstadt. Fünf Jahre später war Phase 1 der Landgewinnung abgeschlossen. Daraufhin entstanden Straßen, Versorgungsnetze, Gebäude. Die ersten Bewohner kamen 2004. „Inzwischen sind es 50 000. Es gibt drei vollständige Wohnviertel, dazu Gästehäuser, Parks und zwei Moscheen“, erklärt Ahmed Zinaf, Planer beim Unternehmen HDC, das Hulhumalé vermarktet.
Die Zukunftsstadt wächst in einem atemberaubenden Tempo – vor allem dank billiger Arbeitskräfte aus Bangladesch. Finanziert wird das 10-Milliarden-Dollar-Projekt über Investoren aus Ländern wie Saudi Arabien oder China. 2050 soll alles fertig sein. Die Geschäfts- und Regierungsviertel. Tausende Sozialwohnungen. Ein großes Kongresszentrum. Das Fußballstadion. Der Hafen. Dazu Freizeitparks und Shoppingcenter. Auch das Viertel mit den Hotelanlagen.
Der Bau der Zukunftsstadt ist dringend nötig. Schon heute fehlt es den Malediven an Wohnraum. Die Hauptstadtinsel Malé ist die am dichtest besiedelte Metropole der Welt. Auf knapp zwei Quadratkilometern drängen sich laut Zensus von 2014 gut 110 000 Menschen, mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Nach UN-Schätzungen dürften es inzwischen noch einige Zehntausend mehr sein. Für eine Zukunft in der Hauptstadtregion lassen viele junge Malediver kleine Inseln wie Maabaidhoo hinter sich. Dabei ist das Leben in der übervölkerten Stadt strapaziös, Wohnraum knapp und teuer. Rückzugsorte gibt es nur wenige. Was die Einwohner Malés am meisten fürchten, sind Brände. Bricht ein Feuer aus, greift es rasend schnell auf nebenstehende Gebäude über. Wie ein Brandbeschleuniger befeuert die Enge der Stadt auch politische und religiöse Spannungen.
„Hier lebt es sich wie im Himmel“
Viele junge Malediver sehen ihre Zukunft in Hulhumalé. „Im Vergleich zu Malé lebt es sich hier wie im Himmel. Es gibt wenig Verkehr, viel Platz, grüne Parks und zig Freizeitmöglichkeiten. Außerdem sind die Mieten günstiger“, schwärmt ein Kollege von Ahmed Zinaf.
Der Staat will auf der künstlichen Insel auch Klimaflüchtlinge unterbringen. Mit 1,50 Meter über Null wurde Hulhumalé einen halben Meter höher geplant als der maledivische Inseldurchschnitt. Nach den Plänen der Regierung sollen im Großraum Malé-Hulhumalé einmal 60 Prozent der Bevölkerung leben. Viele kleine Inseln dürften dann verwaisen.
Doch es gibt auch eine Gegenbewegung. Manchen geht die Urbanisierung zu schnell. „In den sozialen Medien wird gerade intensiv diskutiert, ob das ursprüngliche Leben auf den Inseln nicht besser wäre“, erzählt Mohamed Hoodh. Der Vorsitzende der Internationalen Jugendkammer des Landes ist in Malé aufgewachsen. Seine Eltern stammen von einem der fernen Archipele. Als ihr Sohn auf die Welt kam, zogen sie in die Hauptstadt, um ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Mohamed Hoodh hat die Chance genutzt, ist studiert und gesellschaftlich engagiert. Aber er sagt auch: „In den vergangenen 30, 40 Jahren gingen viele traditionelle Bindungen verloren.“ Vom maledivischen Identitätsgefühl, sagt er, sei nicht mehr viel übrig.
Die Recherche zu diesem Beitrag hat die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen ermöglicht.