Pro: Günther Marx
Eines der beliebtesten Argumente gegen den Bildungsföderalismus ist neben dem bildungspolitischen „Flickenteppich“, was zutrifft, aber nicht ganz so dramatisch, wie oft getan, jenes der „Kleinstaaterei“, welches danebenzielt. Denn NRW, Bayern, Baden-Württemberg oder Niedersachsen und Hessen liegen nach Bevölkerungszahl oder Wirtschaftsstärke auf einer Ebene mit den meisten unserer Nachbarländer. Sie sollten daraus etwas machen. Es ist nicht einzusehen, warum Finnen oder Dänen bildungspolitisch die Nase vorne haben.
Föderalismus ist Vielfalt. Wer ihn in der Bildungspolitik abschaffen will, zielt auf eine der letzten Kernkompetenzen der Länder. Es ist merkwürdig, dass viele von denen, die ein stärkeres zentralstaatliches Element fordern – zumeist in Bereichen, in denen es kriselt –, zugleich ihre Eigenart als Bayern, Schwaben, Brandenburger oder Sachsen betonen und von dieser kein Jota lassen wollen.
Wer die Zuständigkeiten der Länder weiter beschneiden will, geht diesen am Ende selbst ans Leder, verwandelt Landesregierungen in Präfekturen, in Verwaltungsstellen und macht Ministerpräsidenten und ihre Ressortschefs zu obersten Landesbeamten am Gängelband Berlins. Darauf läuft es hinaus. Und, nicht nur nebenbei: Deutschland hat in seiner Geschichte nicht die besten Erfahrungen gemacht, wenn das zentralstaatliche Element die Länder an die Wand gedrückt hat. Das Problem ist nicht der Föderalismus, sondern eine nicht enden wollende Experimentierlust in der Bildungspolitik, die selbst Ausdruck einer allgemeinen gesellschaftlichen Verunsicherung ist. Ob der Bund es besser kann? Was der falsch macht, ist dann überall falsch.
Contra: Ulrike Sosalla
Es ist schon erstaunlich: Jetzt plötzlich entdecken einige Bundesländer, allen voran Baden-Württemberg, die Bedeutung des Bildungsföderalismus für sich. Just in dem Augenblick, in dem der Bund ihnen einen Teil ihrer Kompetenzen abnehmen will, damit Geld und neue Konzepte schneller in den Schulen ankommen. Die Aufregung ist verständlich, ist doch die Bildung die letzte Bastion, in der die Länder sich profilieren können. Aber ist der Alarm gerechtfertigt? Nein.
Die Bundesländer hatten seit dem Pisa-Schock fast zwanzig Jahre Zeit, um zu beweisen, dass sie der Aufgabe gewachsen sind, im Wettbewerb miteinander zukunftsfähige Bildungssysteme aufzubauen. Sie haben diese Chance nicht genutzt. Der Bildungsföderalismus hat in Deutschland zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Systeme geführt, ohne dass die Qualität gestiegen wäre. Im Gegenteil: Gerade im unteren Leistungsbereich gibt es immer mehr Kinder, die bei grundlegenden Fertigkeiten wie Leseverstehen und Grundrechenarten bedenkliche Schwächen zeigen. Hier bräuchte es dringend mehr individuelle Förderung. Aber woher soll die kommen, wenn nicht einmal genug Lehrer da sind, um den Pflichtunterricht lückenlos abzudecken?
Weitergehende Konzepte gar für die Bildung im digitalen Zeitalter sucht man vielerorts vergebens. Die Kultusministerkonferenz, in der Ideen entstehen und sich von Land zu Land fortpflanzen sollten, ist eine der beharrlichsten und langsamsten Institutionen der Republik.
Der Bund hat vor allem, was die Konzepte und die Digitalisierung angeht, eine Chance verdient. Denn Tatsache ist: Schlechter als die Bundesländer kann er es kaum machen.