Die politische Berichterstattung dieser Zeitung stand in den vergangenen Wochen unter einem großen Motto: „Wahlen in Zeiten der Verunsicherung“. Der Grundgedanke dabei war: Obwohl es Deutschland in vielen Bereichen weit besser geht als den meisten anderen Ländern dieser Erde, beschleicht viele Menschen ein Gefühl der Unsicherheit. Gewissheiten lösen sich auf, Bündnisse, etwa die Europäische Union, werden in Frage gestellt. Die Konsequenzen der Digitalisierung auf ihr Leben verunsichern die Menschen, die Integration der Einwanderer beschäftigt viele, sie fühlen sich im eigenen Land nicht mehr sicher.
Der Wahlkampf der vergangenen Wochen hat diese Ungewissheit nicht auflösen können. Fragen sind offen geblieben, die Konzepte blieben oft im Ungefähren. Die bleierne Müdigkeit, die die letzten Wochen bestimmte, fand ihren schläfrigen Höhepunkt am 3. September im TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz: Ein Herausforderer, der nicht recht angreifen mochte oder wollte, traf auf eine Amtsinhaberin, die Attacken an sich abperlen ließ.
Warum also sollte man sich am Sonntag dennoch der Mühe unterziehen und zum Wahllokal gehen?
Weil es sich trotz allem lohnt und weil Demokratie sich nicht auf sechs Wochen politischer Auseinandersetzung reduzieren lässt. Weil Demokratie ein Wert an sich ist und diese Form des politischen Miteinanders uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind: zu einem Staat, in dem es der überwiegenden Mehrheit der Menschen gut geht, in dem Freiheit und Sicherheit nach wie vor garantiert sind und die meisten Menschen sich – egal, welcher Religion oder Herkunft – mit  Respekt begegnen.­
Das sollte uns einen und über Ihrer ganz individuellen Wahlentscheidung stehen. Natürlich streiten Parteien über die Zukunft der Rente. Natürlich machen sie sich Gedanken darüber, wie sich ein Land wirksam vor Terror­ismus, aber auch vor ausufernder Kriminalität schützen kann. Und selbstverständlich wird um das beste Bildungskonzept gerungen. Dazu gab es endlose Diskussionen, dazu gibt es unterschiedliche Vorschläge, die Herausforderungen zu meistern. Ob diese mit Ihren Ansicht übereinstimmen, müssen Sie morgen entscheiden.
Aber über diesen strittigen Fragen muss die Gretchenfrage stehen: Wie haltet ihr’s mit der Demokratie, mit den Grundwerten unseres Zusammenlebens? Und da kann es keine zwei Antworten geben. Vertrauen Sie nicht den Schreihälsen, die andere niederbrüllen, weil ihre eigenen Argumente zu schwach sind. Vertrauen Sie niemandem, der glauben machen will, dass unsere Demokratie eine Verschwörung gegen das eigene Volk sei. Vertrauen Sie nicht denen, die meinen, dass Fremde schuld an unseren Problemen seien.
Auch wenn unser politisches System Fehler hat und die Menschen in diesem System Fehler machen – es sichert unsere gemeinsame Idee eines friedlichen Zusammenlebens. Nicht zuletzt darum geht es am Sonntag. Und dafür lohnt es sich allemal, wählen zu gehen.

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