Angesichts des großen und laut Prognosen noch steigenden Lehrermangels in Deutschland empfehlen Wissenschaftler den Landesregierungen weitreichende Maßnahmen zur Gewinnung und Einsparung von Personal. Das geht aus einer Stellungnahme der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) hervor, die am Freitag vorgestellt wurde.
„Der Umfang des gegenwärtigen Lehrkräftemangels macht es erforderlich, neben Maßnahmen zur Ausschöpfung und Erweiterung des Potenzials auch Maßnahmen zur Senkung des Bedarfs an Lehrkräften zu implementieren“, heißt es in der Studie. Als Beispiele nennt sie „hybride Unterrichtsszenarien“, etwa Oberstufenschüler per Video in den Unterricht anderer Klassen zuzuschalten. Auch die Erhöhung von Selbstlernzeiten und ein „flexibler Umgang mit Klassenfrequenzen“ – also mehr Schüler pro Lehrer – werden vorgeschlagen.
„Reserven“ erschließen
Darüber hinaus sollen Lehrer befristet länger und mehr arbeiten, von Verwaltungsaufgaben entlastet und an Dienststellen mit besonderem Bedarf abgeordnet werden. Die Kommission spricht von „Beschäftigungsreserven bei qualifizierten Lehrkräften“. Rund die Hälfte aller Lehrer arbeitet in Teilzeit.
Um zusätzliches Personal in die Schulen zu bekommen, rät die SWK zur erleichterten Anerkennung ausländischer Abschlüsse, zum Einsatz von Studenten und anderer „formal nicht (vollständig) qualifizierter Personen“ sowie zu Quer- und Seiteneinsteigern.
„Historische Herausforderung“
„Bei aller zusätzlicher Belastung muss aber auch allen Akteur:innen im Schulsystem klar sein, dass die Gesellschaft vor einer historischen Herausforderung steht, die größte Anstrengungen erfordert, um den kommenden Generationen von Schüler:innen ein Unterrichtsangebot zu machen, das ihnen soziale, kulturelle, gesellschaftliche und berufliche Teilhabe ermöglicht“, appellieren die Wissenschaftler.
Das Problem des Lehrkräftemangels bleibe aller Voraussicht nach in den kommenden 20 Jahren bestehen. Das liegt an demografischen Entwicklungen. Es gehen viel mehr Lehrer in Pension als aus den zahlenschwachen Abiturientenjahrgängen Lehramtsstudenten zu gewinnen sind.
Noch 20 Jahre Mangel
Wolle man vermeiden, „dass Notmaßnahmen der Personalgewinnung die kommenden beiden Dekaden durchziehen, müssen mittel- und langfristig neue Formen der Unterrichtsorganisation entwickelt werden“, schreibt die SWK. Das betreffe „den Einsatz digitaler Medien zur Unterstützung von Phasen selbstregulierten Lernens“ und eine verstärkte Aufgabenteilung im Lehramt.
Einige der empfohlenen Maßnahmen werden schon in verschiedenen Ländern umgesetzt, in Baden-Württemberg etwa appelliert das Land seit Jahren an Pensionäre, länger zu unterrichten. Derzeit arbeitet Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) am erweiterten Einsatz von Seiten- und Quereinsteigern. Schopper begrüßte die Studie: „Wir werden sehr genau prüfen, was die Kommission empfiehlt und was wir noch nicht umsetzen“, erklärte sie.
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