Nach den tödlichen Schüssen im Mercedes-Werk in Sindelfingen am Donnerstagmorgen (11.05.) suchen Polizei und Staatsanwaltschaft weiter nach dem Motiv des mutmaßlichen Täters. „Das Tatmotiv ist weiter unklar“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Freitagmorgen (12.05.). Man schließe derzeit nichts aus – auch keinen politischen Hintergrund.
Der mutmaßliche Täter, der nach Aussagen der Polizei ein 53 Jahre alter türkischer Staatsbürger ist, wurde am Donnerstag dem Haftrichter vorgeführt, nachdem er am Morgen Schüsse in einer Werkhalle abgegeben hatte. Dabei wurden zwei Menschen getötet, eine Person starb noch am Tatort, eine zweite wenig später im Krankenhaus.
Bei den Toten handelt es sich um zwei 44 Jahre alte Mitarbeiter eines Subunternehmens, der Firma Rhenus, sagte eine Sprecherin des Logistikdienstleisters. In den Vorfall seien drei festangestellte Mitarbeiter verwickelt gewesen. Nach Angaben von „Bild“ sind die beiden Opfer ebenfalls Türken.

Schüsse bei Mercedes in Sindelfingen: „ganzes Magazin leergefeuert“

Am Donnerstagmorgen gingen Notrufe bei der Polizei ein, die in der Folge ein Sondereinsatzkommando zum Tatort schickte, das das Gelände abriegelte. Einen Amoklauf schlossen die Beamten schnell aus. Die Polizei Ludwigsburg informierte derweil in den Sozialen Medien über den Einsatz auf dem Werksgelände – und gab Entwarnung: „Es besteht keine Gefahr für die Bevölkerung oder für die Mitarbeitenden auf dem Gelände.“
Doch die tödlichen Schüsse fielen bei laufender Produktion. Es waren am Donnerstagmorgen viele Mitarbeitende in der betroffenen Halle 56, die Zeugen der Bluttat wurden und anschließend psychologisch betreut wurden. „Ich habe die Schüsse gehört, dachte, dass eine Palette runtergefallen ist. Dann kam jemand aufgeregt angerannt und erzählte, dass geschossen worden sei. Wir mussten alle raus – und die Firma hat uns heimgeschickt“, sagte eine Mitarbeiterin der „Bild“-Zeitung. Einen Kollegen des Tatverdächtigen zitierte das Blatt so: „Der Typ soll sein ganzes Magazin leergefeuert haben.“
Der Werksschutz überwältigt den Tatverdächtigen, der sich dann von der Polizei widerstandslos festnehmen lässt. Die Staatsanwaltschaft geht vorerst von einem Einzeltäter aus und schweigt noch über weitere Tatdetails. Der Haftrichter erließ am Nachmittag Haftbefehl wegen Totschlags in zwei Fällen, wie Staatsanwaltschaft und Polizei am frühen Donnerstagabend mitteilten. Der 53-Jährige sitzt nun in Untersuchungshaft.

Kannten sich Täter und Opfer?

Nach den ersten Notrufen gegen 7.45 Uhr waren Polizei und Rettungskräfte mit einem Großaufgebot vor Ort, für die beiden Opfer kam aber jede Hilfe zu spät. Die Ermittler haben nach eigenen Angaben noch keine Erkenntnisse über ein Motiv des festgenommenen Verdächtigen. Auch zur Frage, ob sich der 53-Jährige und die beiden Opfer kannten, konnte ein Polizeisprecher bisher keine Angaben machen. Es liefen Vernehmungen durch die Kriminalpolizei.
Bei der verwendeten Schusswaffe, die sichergestellt wurde, handele es sich um eine Pistole, die der 53-Jährige wahrscheinlich illegal besessen habe, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft weiter mit. Der mutmaßliche Schütze habe keinen Waffenschein gehabt.
Viele Fragen sind noch offen - etwa, wie die Waffe auf das Werksgelände gelangte. „Ich hoffe mal, dass sie vielleicht ein bisschen mehr Kontrollen machen. Wenn man so einfach Waffen da reinkriegt, das kann ja auch mal einen von uns treffen“, sagte ein Mercedes-Mitarbeiter und berichtete vor seinem Schichtbeginn von einem „mulmigen Gefühl“.
Mercedes-Benz äußerte sich „zutiefst bestürzt und geschockt“ über die Tat. „Unsere Gedanken sind bei den Opfern, ihren Angehörigen und allen Kolleginnen und Kollegen vor Ort“, sagte ein Unternehmenssprecher. Das Personal der betroffenen Halle verließ nach den Schüssen geordnet das Werksgelände.

Bluttat bei Daimler: Produktion in Halle 56 gestoppt

Die Produktion in der Halle 56 bleibt vorerst gestoppt. „Wir haben uns dazu entschieden, hier die Arbeit bis zum Ende der Woche ruhen zu lassen“, sagte ein Sprecher des Autobauers. Konkret soll dort bis einschließlich Sonntag nicht gearbeitet werden. Wie viele Beschäftigte davon betroffen sind, war nicht bekannt. Die Halle an sich sei von den Behörden bereits wieder freigegeben worden, sagte der Sprecher. Es handle sich um eine Entscheidung des Unternehmens. Auf dem restlichen Werksgelände soll die Fertigung demnach normal weiterlaufen.
Im Sindelfinger Werk von Mercedes-Benz mit einer mehr als hundertjährigen Geschichte arbeiten etwa 35.000 Menschen. Dort rollen neben der E-Klasse auch die S-Klasse sowie deren elektrisches Pendant EQS vom Band.

Bereits Schüsse auf Werksgelände im vergangenen Jahr

Im Februar vergangenen Jahres war nach einer wilden Raserei der Fahrer eines Kleinbusses auf dem Werksgelände erst durch einen Unfall und einen Schuss gestoppt worden. Der Mann hatte mit seinem Wagen eine Schranke zum Werksgelände durchbrochen und aufs Gaspedal getreten. Erst durch einen Schuss ins Bein hatten Polizisten den Fahrer gestoppt. Der damals 61-Jährige kam danach in eine psychiatrische Einrichtung.

Verdächtiger schweigt

Der mutmaßliche Todesschütze hat sich bisher nicht zu der Tat geäußert. Er habe beim Haftrichter keine Angaben gemacht, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Freitag mit.