Für Andreas Gumper, Zugführer der durch das DRK getragenen Einsatzeinheit 3 des Katastrophenschutzes im Alb-Donau-Kreis, ist die Sache klar: „Der Katastrophenfall würde für uns einiges einfacher machen“, sagt er. Auch im Hinblick auf die Freistellung der Ehrenamtlichen, die derzeit auf den guten Willen ihrer Arbeitgeber angewiesen seien – im Katastrophenfall sind sie nämlich per Gesetz freigestellt. Dieser Meinung ist auch Felix Roßnagel, Zugführer der Einsatzeinheit 2 des ASB in Ulm. „Derzeit haben wir weder eine rechtlich garantierte Helferfreistellung noch ist geregelt, wer für entstehende Kosten aufkommt“, sagt er. Zudem gälten in unterschiedlichen Städten und Kreisen unterschiedliche Regeln, was die Sache weiter verkompliziere. „Im Katastrophenfall wäre das landesweit einheitlich geregelt.“

DRK-Landesverband will die Ausrufung nicht fordern

Stimmen wie diese gibt es hierzulande derzeit viele. Während Bayern längst den Katastrophenfall ausgerufen hat, scheut Baden-Württemberg davor zurück – und die Blaulicht-Szene wundert sich. „Wir hören diese Stimmen auch“, sagt DRK-Landessprecher Udo Bangerter. Man sei „im Kontakt mit der Landesregierung“ zu dem Thema und „führe Gespräche“. Öffentlich fordern will der Landesverband die Ausrufung nicht.

Im Katastrophenfall Lohnfortzahlung durchs Land

Dass Helfer den Katastrophenfall bevorzugen, hat vor allem praktische Gründe: Ihre Notfallpläne sind darauf ausgerichtet, Kompetenzen klar geregelt. Auch Unsicherheiten wegen der Freistellung durch den Arbeitgeber spielen eine Rolle. So erstattet das Land im Katastrophenfall die Lohnfortzahlung – auch im Krankheitsfall, wenn ein Helfer sich im Einsatz verletzt oder infiziert.

THW: Keine Probleme mit der Freistellung

Beim Technischen Hilfswerk (THW) etwa sieht man die Lage entspannter: „Wir haben derzeit keinerlei Probleme damit, dass unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter vom Arbeitgeber freigestellt werden“, sagt Landessprecher Peter Buß. Viele Firmen hätten derzeit ohnehin Kurzarbeit angemeldet – wenn jemand in den Einsatz muss, sage kein Chef nein.

Landtag hat Pandemie als Naturkatastrophe eingestuft

Dass die wörtliche Definition des Gesetzes (siehe Info) durch die Corona-Krise schon erfüllt wäre, wird in der Landesregierung gar nicht bestritten. Der Landtag hat die Pandemie bereits offiziell als Naturkatastrophe eingestuft, um im Haushalt neue Schulden mache zu können. Doch im Moment sieht man durch die Anwendung des Katastrophenfalls mehr Nach- als Vorteile. Das Gesetz sei nicht für eine Pandemie maßgeschneidert, heißt es im Innenministerium – sondern für Naturkatastrophen oder andere „Großschadensereignisse“ gedacht.

Katastrophe in Zeitlupe

Wenn ein Kraftwerk explodiert oder die Erde bebt, passiert das in der Regel plötzlich, und es gibt ein klares geographisches Zentrum, wo alle Kräfte konzentriert werden. „Die Corona-Krise bringt durch ihren landesweiten Charakter und die Dimension der Zeitdauer ganz andere Herausforderungen mit sich“, sagt Renato Gigliotti, Sprecher des Innenministeriums. Eine „Katastrophe in Zeitlupe“, wie es mancher Experte nennt, sei eine Aufgabe, die alle Ministerien und Verwaltungen wohl über Monate fordere – während im „klassischen“ Katastrophenfall ein Krisenstab im Innenministerium allein den Ton angibt.

Mehrere Stäbe arbeiten gemeinsam an den Aufgaben

Ein solches Gremium könne die Fülle an Aufgaben und die Koordinierung im ganzen Land kaum leisten. „Sie brauchen in dem Krisenstab wahnsinnig große Kompetenzen und eine enorm hohe Expertise“, sagt Gigliotti. Zu großer Zentralismus könne in einer derart komplexen Lage dysfunktional sein. Derzeit arbeiten mehrere Stäbe in den Ministerien gemeinsam an den Aufgaben.

Katastrophenfall „definitiv nicht ausgeschlossen“

Das funktioniere sehr gut, sagt Gigliotti. Schon in der akuten Phase der Flüchtlingskrise habe man auf diese verteilte Struktur gesetzt und „wichtige Erkenntnisse in der Steuerung landesweiter Prozesse gewonnen. Das war damals eine kluge Entscheidung, darauf können wir aufbauen.“ Das bedeute aber nicht, dass der Katastrophenfall nicht doch noch ausgerufen werden könnte. „Das ist definitiv nicht ausgeschlossen.“ Finanzielle Erwägungen, wie mancher unterstellt, spielten dabei aber keine Rolle.
Auch politische Gründe stehen dem Katastrophenfall wohl nicht im Weg: Dass alle Kompetenzen, wie laut Gesetz eigentlich vorgesehen, im Ernstfall im von Thomas Strobl (CDU) geführten Innenministerium liegen sollen und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vom Hauptdarsteller zu einem Zuschauer wird, gilt in Stuttgart als schwer vorstellbar. Doch so eng müsse man die entsprechenden Passagen wohl nicht auslegen, heißt es.

Einheitliche Leitung zur Abwehr und Bekämpfung

Eine Katastrophe ist laut Landesgesetz „ein Geschehen, das Leben oder Gesundheit zahlreicher Menschen oder Tiere, die Umwelt, erhebliche Sachwerte oder die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung in so ungewöhnlichem Maße gefährdet oder schädigt, dass es geboten erscheint, ein zu seiner Abwehr und Bekämpfung erforderliches Zusammenwirken von Behörden, Stellen und Organisationen unter die einheitliche Leitung der Katastrophenschutzbehörde zu stellen“.